Praxisbericht in der Arbeitsgruppe 6:
Kooperation und Vernetzung im Arbeitskreis
"Trennung/Scheidung Cochem-Zell"

Jürgen Rudolph

Richter am Familiengericht Cochem, Rheinland-Pfalz

Vorab sei gesagt, dass sich mein Beitrag mit der Darstellung und der Vernetzung der beteiligten Professionen befasst. Meine Ausführungen sind dabei nicht theoretischer oder appellativer Natur, sondern stellen tatsächlich einen Praxisbericht dar. Allerdings gibt es für die Praxis Orientierungsvorgaben, die ständig zur Diskussion gestellt werden - auch das zählt zur Praxis. Für eine erfolgreiche Kooperation der beteiligten und Institutionen ist das jeweilige Verständnis voneinander eine unabhängige Voraussetung.

 

 

1. Wie man Familienrichter wird

Für meine Profession möchte ich Sie kurz darüber informieren, wie man Familienrichter wird. Dies geschieht nicht, indem man es beschließt, sondern nach einer längeren Phase richterlicher Sozialisation, die bei ihrem Gelingen zunächst zur Einstellung als Richterin oder Richter auf Lebenszeit führt.

An den Gerichten gibt es aus der Richterschaft gewählte Präsidien, die die Geschäfte auf die Richterschaft für die Dauer eines Jahres verteilen. Hierzu zählen an den Amtsgerichten die Familiensachen, die mir unmittelbar nach meiner Bewerbung an ein Amtsgericht 1979 von einem aufgrund der damals noch jungen, großen Eherechtsreform verunsicherten Präsidium dankbar übertragen wurden.

 

 

2. Gericht und elterliche Verantwortung

Zu meinen ersten Tätigkeiten als Familienrichter zählte es, die "elterliche Gewalt" für zwei 15 bzw. 16 Jahre alte Mädchen zu regeln. Die Ehe ihrer Eltern war kurz vor der Eherechtsreform noch vom zuständigen Landgericht geschieden worden, das zuständige Vormundschaftsgericht, das bis dahin über die "elterliche Gewalt" zu entscheiden hatte, gab das Verfahren dann an das anschließend zuständige Familiengericht ab. Entscheidungsgrundlage war der § 1671 IV Satz 1 BGB, der bestimmte: "Die elterliche Gewalt (redaktioneller Hinweis: Ab 01.01.1980 "Elterliche Sorge") ist einem Elternteil allein zu übertragen."

Zwischenzeitlich waren die Eltern der beiden betroffenen Kinder wieder zusammengezogen und lehnten die Übertragung der elterlichen Sorge auf nur einen Elternteil ab. Da dieser aus dem Elternrecht herrührende Wunsch nachvollziehbar erschien, aber aufgrund der bestehenden Gesetzeslage nicht berücksichtigt werden konnte, beschloss ich die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht mit der Bitte um die verfassungsrechtliche Überprüfung der Bestimmung des § 1671 IV Satz 1 BGB. Nachdem auch zwei weitere Familiengerichte in ähnlich gelagerten Sachverhalten das Bundesverfassungsgericht angerufen hatten, erklärte dieses bekanntlich mit Urteil vom 03.11.1982 diese Bestimmung des § 1671 BGB für verfassungswidrig. Mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war das gemeinsame Sorgerecht der Eltern auch nach der Scheidung als eine mögliche Regelungsform etabliert.

Das gemeinsame Sorgerecht der Eltern nach der Trennung und Scheidung war im Übrigen den Nachbarländern Frankreich und Dänemark nicht fremd; es wurde und wird dort als selbstvertändliche Fortdauer der elterlichen Verantwortung auch nach der Trennung bewertet. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde sodann von mir zum Anlass genommen, auch nach der Scheidung einer Ehe im Einverständnis mit beiden Eltern das gemeinsame Sorgerecht fortbestehen zu lassen. Die anteilige Quote solcher Regelungen im Verhältnis zu allen Sorgerechtsentscheidungen belief sich bis 1992 auf ca. 20 Prozent.

 

 

3. Wie die Kooperation entstand

Die seitdem im Amtsgerichtsbezirk Cochem mit leicht steigender Tendenz getroffenen Regelungen zur gemeinsamen Sorge führten im Jahre 1992 zu ersten Kontakten mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Beratungsstelle des Bistums Trier in Cochem unter Hinzuziehung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamtes. Dabei stellte sich heraus, dass es in der Einschätzung der Kriterien zum Kindeswohl erhebliche Überschneidungen gab. Diese Erkenntnis führte dazu, dass sich 1993 ein "Arbeitskreis Trennung/Scheidung Cochem-Zell" gründete, dem sich neben der Beratungsstelle, dem Jugendamt und dem Familiengericht die im Gerichtsbezirk ansässigen Anwälte ausnahmslos anschlossen, auch einige forensische Sachverständige gehören dazu.

Die Sitzungen dieses Arbeitskreises fanden in den ersten drei Jahren drei mal jährlich, später sechsmal jährlich und seit 1999 finden sie einmal monatlich statt. Sie sind zu einer festen Institution geworden, die die Tätigkeit aller Institutionen und Professionen erheblich prägt.

Die ersten Sitzungen waren besonders dadurch gekennzeichnet, dass die Vorstellungen der beteiligten Personen zu den Zielsetzungen ihrer jeweiligen professionellen Tätigkeit intensiv diskutiert wurden. Keiner der Beteiligten ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass sich aus diesen Sitzungen eine neue Qualität, der zukünftigen beruflichen Arbeitsweise ergeben würde, gedacht war zunächst nur an einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch.

Insbesondere die Anwälte führten bei den wiederholten Versuchen, das Kindeswohl zu definieren, kontroverse Diskussionen zu ihrem jeweiligen Verständnis der Interessenvertretung der Parteien. Eine Reihe von Anwälten vertrat die Auffassung, dass sie zur Niederlegung des Mandats bereit seien, wenn ihrer Auffassung nach die Interessenverfolgung des Elternteils dem Wohl des Kindes widersprach. Andere Anwälte beriefen sich auf das Mandat, dem zufolge sie die Interessen des Elternteils und nicht die des Kindes zu vertreten hätten. Gleichwohl hat die Klarstellung dieser unterschiedlichen Positionen dazu geführt, die jeweiligen Standpunkte zu respektieren und sich an ihnen in der weiteren Zusammenarbeit zu orientieren.

Einvernehmen konnte indessen unter allen Anwälten erzielt werden, dass in Sorge- bzw. Umgangsrechtsverfahren keine Konfliktstrategien verfolgt werden. Als Konsequenz hieraus bemühen sich die Anwälte bereits im Vorfeld forensischer Verfahren darum, in hochstreitigen Sorge- bzw. Umgangsrechtsverfahren die Eltern bereits zur Inanspruchnahme der Hilfsangebote der Beratungsstellen bzw. des Jugendamtes anzuhalten. Soweit in diesem Stadium bereits beide Elternteile durch Anwälte vertreten sind, sind diese dazu übergegangen, sich unmittelbar miteinander in Verbindung zu setzen, um die Eltern zu entsprechenden Verhaltensweisen zu ermuntern.

Die Tätigkeit des Arbeitskreises führte schließlich dazu, dass sich seit 1995 die Zahl der Sorgerechtsentscheidungen, die auch nach der Trennung und Scheidung der Eltern das gemeinsame Sorgerecht beinhaltet, auf 60 Prozent aller Sorgerechtsentscheidungen anwuchs. Gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass sich der Streit der Eltern nunmehr auf Fragen des Umgangs verlagerte. Diese Problematik trat ganz offensichtlich bisher in den Fällen völlig zurück, in denen es ausschließlich um das Sorgerecht ging, also aus Sicht der Eltern um "alles oder nichts".

1994 wurde in dem Arbeitskreis verabredet, dass im Falle forensischer Auseinandersetzungen hinsichtlich des Umganges mit den Kindern die Beratungsstelle mit einbezogen wird, soweit das Gericht selbst nicht ein Einvernehmen zwischen den Eltern herstellen kann. Zeichnet sich während einer Verhandlung ab, dass die Eltern (noch) nicht in der Lage sind, eine Kommunikationsebene zu finden, die eine Umgangsregelung ermöglicht, wird das Verfahren unterbrochen. Noch aus der mündlichen Verhandlung heraus begleitet eine Mitarbeiterin oder Mitarbeiter des Jugendamtes die betroffenen Eltern zu der in der Nähe gelegenen Beratungsstelle, die unverzüglich an die Eltern einen Termin vergibt. Während für die Eltern die Kontinuität ihrer "Betreuung" insoweit offensichtlich ist, bleibt es nunmehr der Beratungsstelle überlassen, in vollständiges Autonomie über ihr weiteres Vorgehen - auch was die zeitliche Dauer anbetrifft - zu entscheiden.

Die Erfolgsquote dieser Verfahrensweise ist überraschend hoch. Bis jetzt sind keine Fälle bekannt geworden, in denen diese Verfahrensweise nicht im Ergebnis zu einer von beiden Eltern akzeptierten Regelung geführt hätte. Dabei spielt einerseits eine Rolle, dass erfahrungsgemäß in streitigen Kindschaftsverfahren die Eltern regelmäßig anwaltlich vertreten sind, andererseits, dass als Ergebnis der Wirkungsweise des Arbeitskreises die Anwälte jeweils ihre Parteien anhalten, an der vorstehend beschriebenen Verfahrensweise mitzuwirken. Während der Inanspruchnahme der Hilfe der Beratungsstelle findet eine Korrespondenz zwischen der Beratungsstelle und dem Gericht nicht statt; die dennoch erforderliche Kommunikation erfolgt auf der Ebene Familiengericht - Anwälte.

Aufgrund der vorstehend dargestellten Tätigkeit des Arbeitskreises hat es zwischen 1996 und 1999 im Familiengerichtsbezirk Cochem zum Sorgerecht und zum Umgangsrecht keine einzige streitige Entscheidung gegeben. Gleichzeitig ist für diesen Zeitraum die Notwendigkeit zur Inanspruchnahme forensischer Sachvertändigengutachten drastisch zurückgegangen. Erst in jüngerer Zeit, nachdem sich - wie bereits beschrieben - das Konfliktfeld vom Sorgerecht auf das Umgangsrecht zu verlagern beginnt, erscheint ein größerer Bedarf an der Inanspruchnahme forensischer Gutachten offensichtlich.

 

 

4. Ziele des Arbeitskreises

Nachdem aufgrund der überraschenden Eigendynamik des Arbeitskreises aus dem ursprünglichen Interesse, sich kennen zu lernen und Vorstellungen auszutauschen, eine funktionsfähige Institution geworden ist, hat er sich folgende Ziele gesetzt:

Die nunmehr seit geraumer Zeit stattfindenden monatlichen Sitzungen beginnen um 18:00 Uhr, um auch der Anwaltschaft die Beteiligung zu ermöglichen. Sie finden abwechselnd in den Räumen der Beratungsstelle, des Jugendamtes, einer Anwaltspraxis oder des Gerichtes statt.

Der Arbeitskreis hat einen Themenkatalog erstellt, zu dem er interne sowie externe Veranstaltungen durchführt. Zu den Themen zählen:

Der Arbeitskreis hat für sich selbst eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema "Verfahrenspfleger" unter Hinzuziehung entsprechender Dozenten durchgeführt, die bereits an einer Fachhochschule einen entsprechenden Ausbildungsgang anbieten. Weiterhin hat er zu dem Thema "Familienmediation" eine insgesamt vierstündige interne Veranstaltung durchgeführt.

Darüber hinaus hat sich der Arbeitskreis bei überraschend großer Resonanz im Rahmen auch durch die Medien gut vorbereiteter und begleiteter Veranstaltungen zu solchen Themen an die Öffentlichkeit gewandt:

"Der Riss geht durch die Kinder (1995)

"Gemeinsames Sorgerecht - Neue Chance?!" (1996 u. 1997)

"Trennung - Scheidung - Schule" (1997)

"Ihr könnt euch ja trennen, aber nicht von mir" (1999).

Außerdem haben Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Arbeitskreises an der Mitbegründung weiterer Arbeitskreise mitgewirkt und schließlich auch auf Antrag der Bezirksregierung in drei ganztägigen Lehrerfortbildungsseminaren das Thema "Trennung-Scheidung-Schule" behandelt.

Zur Geschichte und Tätigkeit des Arbeitskreises Trennung-Scheidung in Cochem-Zell verweise ich im Übrigen auch auf die Abhandlung von Prof. Dr. Traudl Füchsle-Voigt in der Zeitschrift für Mediation, Konfliktmanagement und Vertragsgestaltung (Haufe-Verlag, Berlin, 1998, Nr. 2, Seite 126 f.) Darüber hinaus wird die Tätigkeit des Arbeitskreise in zwei zwischenzeitlich an den Fachhochschulen Koblenz sowie Wiesbaden vorgelegten Diplomarbeiten dokumentiert. Die betreffenden Diplomandinnen haben über einen längeren Zeitraum den Arbeitskreis begleitet. Schließlich haben die Erfahrungen dieses Arbeitskreises auch ihren Niederschlag in dem Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses des Landes Rheinland-Pfalz vom 28.06.1999 gefunden (Zeitschrift KindPrax 1999, S. 162 ff.).

 

 

5. Zusammenfassung

Die Frage der Themenstellung der Arbeitsgruppe 6 beantworte ich damit, dass Beratung ein ganz wesentlicher Bestandteil der Sorgerechts- und Umgangsregelungen ist, ohne den auch das forensische Verfahren nicht leben kann. Ich ergänze deshalb die Themenstellung dahingehend, dass Beratung nicht nur vor oder anstatt gerichtlicher Entscheidung möglich ist, sondern als Bestandteil gerichtlicher Verfahren anstelle einer Entscheidung eine von allen Beteiligten akzeptierte und getragene Regelung herbeiführen kann.

Ich begegne häufig dem Einwand, die in Cochem gefundene Kooperationsform sei nicht ohne weiteres auf alle Regionen und Bezirke übertragbar. Es mag sein, dass die vorgefundene personelle Konstellation aller beteiligten Professionen und Institutionen die Gründung und den Fortbestand des Arbeitskreises überhaupt erst ermöglicht oder zumindest erleichtert hat. Gleichwohl ist sie ein Indiz, dass eine solche Kooperation gelingen kann. Ich habe in meinen Ausführungen einen kurzen Überblick über einen nunmehr achtjährigen intensiven Prozess gegeben und gehe davon aus, dass die wichtigen Details erst in den Diskussionsrunden der Fachtagung erörtert werden.