"Jetzt soll Opa mein Papa sein"

Wie bei einer Scheidung Großeltern ihren Enkeln helfen können

Von KNA-Redakteur Andreas Otto

Die Kinder längst aus dem Haus, weniger Hausarbeit, dafür aber mehr Zeit für Hobbys und Reisen - die Vorzüge dieses vorgerückten Lebensabschnittes haben Gisela Meiners* und ihr Mann schätzen und lieben gelernt. Doch plötzlich ändert sich alles: Ihr Schwiegersohn trennt sich von der Tochter. Ab sofort kümmern sich Oma und Opa um ihren Enkel Dirk, damit dessen Mutter für den Lebensunterhalt sorgen kann.

Kein Einzelfall. Die Zahl der Scheidungen nimmt Jahr für Jahr zu. Im Jahr 2002 stieg sie auf 204.200; betroffen davon sind rund 160.000 Kinder. Nicht nur sie und ihre Eltern stehen vor dem Scherbenhaufen einer zerbrochenen Beziehung, sondern auch die Großeltern. Wie die Meiners kümmern sie sich in dieser angespannten Situation häufig um die Enkelkinder und finden sich in der Rolle der Ersatzeltern wieder. Oder aber Oma und Opa werden ungewollt in den Strudel der Frontenkriege hineingerissen und dürfen plötzlich gar keinen Kontakt mehr zu ihren Enkeln haben - eine bittere Erfahrung, an denen später auch die Meiners nicht vorbeikommen, als ihre Tochter einen neuen Mann kennen lernt.

Doch zunächst sind sie Feuerwehr. Gisela Meiners: "Ich habe deutlich empfunden, ich werde gebraucht." Den dreijährigen Dirk, der sie immer so gern besucht, will sie gerade jetzt nicht hängen lassen. Zumal dessen Mutter völlig mit sich selbst, ihren durcheinander gewirbelten Gefühlen, mit den Scheidungs-Formalitäten und ihrem neuen Job beschäftigt ist. Als "Pflichtmensch" wird Gisela Meiners ohne lange nachzudenken Tagesmutter und betreut fortan jeden Nachmittag den Kleinen. Auch ihr Mann spürt sehr bald, wie wichtig er ist. "Ich habe meinen Papa verloren, jetzt soll Opa mein Papa sein", weist Dirk ihm beim Abendessen unmissverständlich seine neue Rolle zu.

Diese Bedeutung der Großeltern im Falle von Scheidungen unterstreicht die Studie "Familienbande", die vom Wissenschaftlichen Institut des Jugendhilfswerks Freiburg erstellt wurde. Omas und Opas können im Gegensatz zu den angespannten Eltern den Kindern zuhören, mit ihnen etwas unternehmen und stellen auf diese Weise eine Art "unbeschwerte Insel" dar. Auch Gisela Meiners erfährt, dass sie von Dirk als ruhender und vor allem verlässlicher Pol empfunden wird. Trotzdem leidet er unter Verlustängsten. Als sie ihn einmal nur für kurze Zeit vor einem Geschäft warten lässt, findet sie ihn nach dem Einkauf in Tränen aufgelöst wieder.

So sehr Großeltern ihren Enkelkinder eine stabile und heile Welt bieten können, so sehr tappen sie aber ungewollt in Fallen. Manch einer der älteren Menschen fühlt sich in der Erzieherrolle überfordert, andere sogar ausgenutzt, warnt die Studie. So bleibt bei Gisela Meiners viel im Haushalt liegen - und dann ist da immer das quälende Gefühl: "Du bist jetzt unersetzlich, du musst auf deine Gesundheit aufpassen, mir darf nichts passieren." Auch ihr Mann verspürt Unmut, trauert der verlorenen Freiheit und den schönen Reisen nach.

Vor allem aber müssen Großeltern aufpassen, sich in dem Scheidungskonflikt neutral zu verhalten. Das fällt oft schwer, zumal auch sie ihre Erklärungen für das Scheitern der Beziehung und eigene moralische Vorstellungen haben. Großeltern sollten aber nicht ungefragt ihre Sicht der Dinge an die sich trennenden Partner herantragen und diese besser an anderer Stelle zur Sprache bringen, schärfen die Autoren von "Familienbande" ein. Zudem dürfte gegenüber den Enkelkindern keiner der Eltern schlecht gemacht werden. Denn Kinder fühlten sich auch nach der Trennung beiden verbunden. Auch müssten Großeltern die Grenzen ihres Einsatzes akzeptieren: Sie können die elterliche Sorge zwar unterstützen, diese aber keinesfalls völlig ersetzen.

Kontaktverbot

In vielen Fällen aber lassen Geschiedene den Kontakt zwischen Oma, Opa und Enkeln gar nicht mehr zu. Das trifft vor allem jene Seite, die nicht das Sorgerecht besitzt. Wenn aber eine zuvor gute Beziehung abrupt abbricht, belastet das Enkel wie Großeltern. Auch Gisela Meiners muss das erfahren. Ihre Tochter lernt drei Jahre nach der Scheidung einen neuen Freund kennen. Die Beziehung zu ihm und den Meiners entwickelt sich alles andere als harmonisch. Die Folge: Die Tochter und ihr neuer Partner kappen kurzerhand den Kontakt zwischen den Meiners und ihren Enkeln.

Diese Wende hat Gisela Meiners nicht mehr ruhig schlafen lassen. Schon wieder wird Dirk eine Beziehung weggenommen, geht ihr durch den Kopf. Versuche, mit der Tochter zu reden und zu einer anderen Lösung zu kommen, scheitern. Nachdem auch das Jugendamt und ein Anwalt sich vergeblich darum bemühen, schlagen die Meiners den juristischen Weg ein - und stoßen auch dort auf Grenzen. Zwar haben auch Großeltern ein Recht auf Umgang mit dem Enkelkind - aber nur unter der Voraussetzung, dass dies dem Wohl des Kindes dient. Die Großeltern müssen dem Gericht nachweisen, dass ihr Umgang eben diesem Kindeswohl zugute kommt.

Faktisch gelingt es aber Großeltern kaum, Richter davon zu überzeugen und ihr Umgangsrecht durchzusetzen. Auch den Meiners nicht: "Es ist überhaupt nicht gewürdigt worden, dass wir das Kind drei Jahre lang intensiv betreut haben." Um Fälle wie diesen kümmert sich die vor einem Jahr gegründete "Bundesinitiative der Großeltern von Trennung und Scheidung betroffener Kinder". Sie kämpft auf politischer Ebene für eine Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen, vor allem für eine Umkehr der Beweislast: Die Geschiedenen sollen darlegen, dass der Kontakt zu Oma und Opa dem Kindeswohl schadet. Und: Im Konfliktfall soll ein Mediator, ein Vermittler, die Rechte der Kinder vertreten und zwischen den Parteien ausgleichen.

Weil aber der juristische Weg so steinig ist, rät Rita Boegershausen, Mitbegründerin der Großeltern-Initiative, zuvor alle anderen Möglichkeiten auszuschöpfen: geeignete Verwandte oder Freunde um Vermittlung bitten und erst im Notfall Jugendamt oder Gericht einschalten. Nach eineinhalb Jahren Kontaktsperre - von gelegentlichen Anrufen, Urlaubsgrüßen oder Begegnungen auf dem Schulweg mal abgesehen - gelingt schließlich auch den Meiners über gemeinsame Bekannte eine Wiederannäherung. Jetzt hat sich die Tochter endlich darauf eingelassen, dass Dirk wieder an einem Tag in der Woche bei ihnen sein darf.

Trotzdem ist der Gesprächsfaden noch dünn - und damit er nicht reißt, Sensibilität im Umgang oberstes Gebot. Zum Wohl ihres Enkelkindes sieht Gisela Meiners über manche Verletzung und Provokation hinweg. Mit der jetzigen Umgangsregel kann sie leben. Dennoch wünscht sie sich, dass Dirk sie eines Tages auch einmal ganz spontan besuchen kann - "wenn ihm einfach mal danach ist, uns zu sehen".

Hinweis:
Bundesinitiative Großeltern von Trennung und Scheidung betroffener Kinder,
Ansprechpartner: Rita und Jürgen Boegershausen
Abteistraße 1, 45239 Essen, Tel.: (0201) 49 33 20,
Internet: www.grosseltern-initiative.de.

*Name von der Redaktion geändert.