Freitag, 18. Juni 2004 im NACHTCAFÈ
auf SWR3
22.00
Nachtcafé Gäste bei Wieland Backes Großeltern - gefragt, geplagt, geliebt?
Man
denkt, man hat es endlich hinter sich. Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus,
verdienen ihr eigenes Geld und dann das: "Ihr werdet Großeltern",
kündigt der Nachwuchs an. Alles noch einmal von vorn. Doch der gewiefte Opa
erkennt den entscheidenden Vorteil: Man kann die Kinder nach Strich und Faden
verwöhnen und vor allem: wieder abgeben. Durch die gestiegene Lebenserwartung
leben heute mehr Groß- und Urgroßeltern in Deutschland als jemals zuvor - heiß
begehrt als Babysitter. Schließlich kennt man deren Arbeit und Qualifikation
aus eigener Erfahrung. Aber "was die Großmutter noch wusste" ist
nicht in jedem Fall gefragt. Einmischung in die Erziehung führt häufig zu
belastenden Konflikten. Andere tragen dagegen schwer daran, wenn die Kinder
beschließen, keine Enkel in die Welt zu setzen. Wie sehen sie aus, die
Großeltern des 21. Jahrhunderts? Haben sie sich nur äußerlich verändert oder
hat auch innerlich ein Umdenken stattgefunden? Gibt es sie noch, die
aufopfernde Vollblut-Omi, oder ist sie bereits Geschichte und verbringt ihre
Zeit lieber auf Bildungsreise? Und wie viel Einfluss sollten Großeltern auf die
Erziehung haben?
Die
Gäste:
Welche
Rolle die Großmutter im Leben von Ute Vogt spielte, formuliert die
SPD-Landesvorsitzende so: "Meine Großmutter hat mich ganz klar
beeinflusst. Sie hat stärker noch als meine Eltern einen großen Wert auf gutes
Benehmen gelegt. Die Oma war besonders kritisch." Doch nach fast 20 Jahren
unter einem Dach wurde aus der Autoritätsperson ein Pflegefall. Nun konnte Ute
Vogt mit ihrer Fürsorge all das zurück geben, was sie zuvor von ihrer
Großmutter bekommen hatte.
Der
Schriftsteller und Grimme-Preisträger Peter Hamm hat ganz andere Erfahrungen
gemacht: Wegen des frühen Todes seiner Mutter musste die Großmutter den Enkel
zu sich nehmen. Doch die ausgebildete Pianistin litt unter der bloßen
Hausfrauenrolle und gab den dreijährigen Peter in ein Heim. "Ich galt bei
meinen Großeltern als Tunichtgut, als unnützer Esser und habe meiner Großmutter
nie verziehen, dass sie mich weggegeben hat."
Linde
Hägele ist gerne Großmutter, und das gleich sechsmal. Dennoch sie ist alles
andere als betulich und aufopfernd. Sie sagt: "Großmuttersein ist für mich
nicht mehr die Pflicht, sondern die Kür." Ihr Zeitplan ist eng gesteckt;
im Alter von 64 Jahren machte sie das Abitur nach und studiert mittlerweile an
der Universität Stuttgart. Um das zu ermöglichen, gibt es bei den Hägeles seit
jeher einen festgeschriebenen "Oma-Tag" in der Woche.
Von so
einem Tag kann Marianne Heß nur träumen. Sie muss die Straßenseite
wechseln, wenn sie ihrem Enkel begegnet. Seit der Scheidung ihres Sohnes und
einer einstweiligen Verfügung ist es ihr verboten, mit ihrem Enkel zu sprechen,
ihn anzurufen oder ihm zu schreiben. Seither kämpft Marianne Heß um ein
Umgangsrecht und sagt: "Ich habe ihm versprochen, dass ich niemals
aufgeben werde, ihn zurück zu bekommen."
Dass
eine Scheidung der Eltern nicht automatisch eine Trennung von Enkeln und
Großeltern bedeuten muss, zeigt die Patchwork-Familie von Jürgen Bendig. Bei
ihm sitzen acht Großelternpaare und drei Enkel gemeinsam unterm Weihnachtsbaum.
Auch sonst zeigt sich der 58- Jährige recht modern, schmückt sein graues Haupt
mit blonden Strähnchen und nimmt seine Enkel auf seiner Harley-Davidson mit auf
große Fahrt. Er definiert seine Aufgabe so: "Die Erziehung der Enkel ist
Elternsache, zu mir kommen die Kids, um Spaß zu haben - auch wenn es hinterher
aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen."
Wolfgang
Hantel-Quitmann, Professor für Klinische Psychologie und Familienpsychologie in
Hamburg, weiß, wie wichtig es ist, dass die Großeltern trotz aller
Bereitschaftsdienste für die lieben Kleinen ihre eigenen Bedürfnisse nicht aus
den Augen verlieren. So sieht er bei aller Euphorie für den Nachwuchs auch das
große Konfliktpotenzial zwischen den Generationen: "Wenn Menschen nur noch
Großeltern sind und sich auch gegenseitig mit ,Oma’ und ,Opa’ anreden - dann wird
es schwierig!"
An
der Bar:
Aufkommende Konflikte würde Margrit Tepper sicherlich gerne in Kauf nehmen, wenn ihre Tochter wenigstens bereit wäre, ihr einen Enkel zu schenken. So muss sie sich momentan mit ,Leihenkeln’ zufrieden geben. Weil ihre 39-jährige Tochter bisher keine Kinder wollte, hat sich die Berlinerin an eine Organisation gewandt, bei der ihre Großmutterqualitäten gefragt sind und sie ihren Wunschtraum wenigstens zeitweise ausleben kann. Denn Margrit Tepper ist der festen Meinung: "Großeltern sind für die Enkel und Enkel sind für die Großeltern eine große Bereicherung. Ich könnte meine Enkel nie als Belastung empfinden, zu gerne wäre ich eine ‚echte’ Oma."