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DRUCK-VERSION 26.09.03




Europäisches Gericht kritisiert deutsche Praxis



Aus Rache und Hass verwehren vor allem Mütter ihren Ex-Partnern und deren Familie jeden Kontakt mit den Kindern. Psychologen beklagen die Folgen.

Im Scheidungsdrama sind vor allem die Kinder die Opfer. Aber auch Väter und deren Eltern leiden unter den Folgen des Leidens, das Psychologen als „Entfremdungssyndrom“ beschreiben. Es entsteht durch die massive Einflussnahme eines Elternteils, der systematisch versucht, den endgültigen Abschied des Ex-Partners und dessen Familie aus dem Leben der Kinder zu erzwingen.

Das Spiel auf dem Rücken der Kinder ist auch bekannt als Umgangsvereitlung: Besuchstermine werden trotz Absprachen nicht eingehalten. Das ist - zumindest in Deutschland - nicht justiziabel.

Die Manipulation erinnert an Gehirnwäsche. Denn sie macht die Kinder zum Sprachrohr des Elternteils, bei dem sie leben - auch vor Gericht. Da sie fast immer (zu 85 bis 90 Prozent) in Obhut der Mutter leben, sind es Väter und Verwandte väterlicherseits, die am häufigsten vom Kontakt zum Kind abgeschnitten bleiben. „Für manche entfremdeten Eltern und Großeltern ist der ständige Schmerz eine Art lebender Tod des Herzens“, schreibt der Psychiater Richard Gardner.

Das seit 1998 geltende Kindschaftsrecht sichert theoretisch einem Kind den Anspruch auf Umgang mit beiden Eltern. Aber wenn im Alltag Rachegefühle und Trennungsängste heraufdämmern, wird gegen den Ex-Partner gehetzt, werden Geschenke der Großeltern zurückgeschickt. Man feilscht um jeden Besuchstermin, richterliche Entscheidungen werden missachtet. In etwa einem Drittel aller zerbrechenden Partnerschaften kommt es nach Erkenntnissen des Entwicklungspsychologen Wassilios Fthenakis zu dramatischen Konflikten, die die Entwicklung der Kinder mittel- und langfristig erheblich gefährden. Die Folgen reichen von frühkindlichen Störungen, von Feindseligkeit und einem mangelnden Selbstwertgefühl bis zur Traumatisierung ins Erwachsenenalter.

Bei Psychologen und einigen Experten des Familienrechts finden die Großeltern inzwischen Verbündete. In vier Urteilen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits die deutsche Praxis kritisiert und in einem Fall die Bundesrepublik dazu vergattert, einen nichtehelichen Vater mit 17 500 Euro zu entschädigen - wegen Verletzung des Rechts auf Familienleben. Für den juristischen Erfolg in Straßburg zahlte der Vater aber einen hohen Preis, denn den Sohn hatte er beim Wettlauf mit der Zeit verloren. Bei Großeltern spielt der Zeitfaktor eine noch wichtigere Rolle.

Die Frankfurter Rechtsanwältin Ingeborg Eisele muntert Großeltern auf, „auf breiter Front den Rechtsweg zu beschreiten und auf eine Änderung der Rechtsprechung hinzuwirken“. Zwei Jahrzehnte hat ein solcher Umdenkungsprozess der Justiz bei den nicht ehelichen Vätern gedauert.

Wie lange bei den Großeltern? Für viele käme eine solche Bewusstseinsänderung nach 20 Jahren zu spät.





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