Astrid v. Friesen
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Freiberg
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Eine
Reflektion der Autorin von “Geld spielt keine Rolle. Erziehung im Konsumrausch“
sowie „Von Aggression bis Zärtlichkeit. Das Erziehungslexikon“(Kösel-Verlag
2003):
Der Feminismus und seine
Folgen: Devote Männer und zickige Frauen.
1972
las ich zu Abiturszeiten Simone de Beauvoirs großes Werk über die Männer- und
Frauengeschichte: „Das andere Geschlecht“. Man stelle sich vor: Nur das Lesen
dieses Buches war damals ein Skandal, durfte nicht offenbart werden!
Mit
dem sich anschließenden Studium in Hamburg begann eine unglaublich aufregende,
harte Zeit, nämlich die unendlichen Diskussionen über das Männerfrauenthema. Es
hat uns liberale, linke, aufmüpfige junge Frauen vollständig beherrscht, quasi
Tag und Nacht. 15 Jahre lang las ich nahezu ausschließlich Frauenliteratur!
Alice Schwarzers „Der kleine Unterschied“ kam 1975 heraus: Mit der Wirkung
einer Explosion.
Gleichzeitig
erschien Elena Belottis Standartwerk im pädagogischen Bereich: „Was geschieht
mit kleinen Mädchen?“ Ihre These: Wir werden nicht als schwache Frauen geboren, sondern erst durch die Gesellschaft zu
Frauen ohne Selbstbewusstsein gemacht. Schon vorgeburtlich fange das an, wenn es im Volksmund heißt:
Schwangere werden schöner, wenn sie einen männlichen Embryo in sich tragen und
ihnen ist in den ersten Monaten besonders übel, wenn es ein Mädchen wird.
Belotti
öffnete uns für 1000 alltägliche Kleinigkeiten die Augen, in denen Mädchen
diskriminiert werden. Natürlich erkannten wir uns alle darin wieder, denn in
dieser Situation der ständigen Bevorzugung der Jungen waren wir aufgewachsen:
Beim Abwasch zu Hause, bei der Aufmerksamkeit durch die Mütter, die Jungs sehr
viel länger stillten, und durch die Väter, die sich mehr um sie kümmerten: Sie
durften lesen, die Töchter mußten putzen, sie durften eher ins Gymnasium, für
die Töchter langte die Mittelschule.
Eine
Tante weinte jedesmal tagelang, wenn in der Verwandtschaft ein Sohn geboren
wurde, da sie keinen bekommen hatte.
Ich
habe noch drei Schwestern, und wie ein traumatische Melodie zieht sich durch
meine Biographie der Satz: „Oh Gott, Deine armen Eltern mit vier Töchtern!“ Man
stelle sich vor: Ihnen wurde regelrecht kondoliert zu diesem traurigen Umstand
das ich auf der Welt war so wie ich bin!
In den heißen Phasen unserer Emanzipation betrachteten wir die Männer als unsere natürlichen Feinde! Vergewaltigungen, Gewalt in den Familien wurden erst damals zu öffentlichen Themen. Wir zerrten diese Ungeheuerlichkeiten an die Öffentlichkeit. So auch der große Coup des „STERN“, als hunderte von prominenten Frauen öffentlich bekannt machten, dass sie abgetrieben hätten. Darauf stand noch Strafe. – Auch ich hatte immer, trotz des geringen Bafög-Satzes von 350 DM, eine eiserne Reserve von rund 1000 DM auf dem Konto für eine evtl. notwendige Abtreibung von Irgendjemandem. Das hätte nämlich bedeutet: Ein heimliche Fahrt nach Holland, Hotelkosten, Arztkosten, Einsamkeit und Illegalität. Ganz zu schweigen von der grauenhaften Vorstellung, die eigenen Eltern würden es mitbekommen. Das wäre wie eine emotionale Höllenfahrt geworden!
Ich war zunächst in einer Selbsterfahrungsgruppe, die damals in verschiedenen Varianten bei Studenten en vogue waren: Dort wurde über Gefühle gesprochen. Oftmals erstmalig. Heute können wir uns das gar nicht vorstellen bei dem ewigen Gequassel über Gefühlsdinge, wie groß die Hemmungen waren, wie völlig chaotisch die Gruppen abliefen. Wir hatten nämlich den Anspruch immer alles rauszulassen. Um jeden Preis! So wie wir Sigmund Freud, Wilhelm Reich, Alexander Lowen mit seinen brachialen Körpertherapiemethoden oder Artur Janov mit seiner Urschreitherapie verstanden: Gefühle zu unterdrücken ist schädlich, Gefühle müssen raus! Meine Güte, wie viel Porzellan ist dabei verschlagen worden! Denn im Sprechen über Gefühlsdinge befanden wir uns auf der Stufe von wilden Kindern, unzivilisiert und rechthaberisch. Ich fühle, also bin ich! Die Moral konnten wir jedoch nicht heraushalten, denn wir unterschieden streng nach richtigen und falschen Gefühlen! Klar, die richtigen hatten wir Frauen. Wehe dem Mann, der anderes sich zu fühlen getraute!
Doch die meisten gingen anschließend
nach Hause und versuchten mit dem Liebsten zusammenzuleben. Wir hatten ja ganz
normale emotionale Bedürfnisse nach Geborgenheit, Zuwendung und Sexualität. Wie
haben wir das bloß geschafft, sozusagen tagsüber und öffentlich alle Männer
abzulehnen und zu Hause mit ihnen zu leben? Wir suchten Liebe, aber waren
überzeugt von dem Credo “Der Feind liegt in unserem Bett“! Also begannen wir
auch dort zu diskutieren, heiß, unerbittlich, nicht selten verbittert. Es ging
um die ernsthafte Frage, ob Staubsaugen unmännlich sei. Es ging um den Kampf,
dass die Männer das Putzen, Kochen und Windelwechseln zu 50% übernehmen. Es war hart!
Eigentlich mußten wir uns spalten: In eine öffentliche und eine private Person. Etliche der berühmten Feministinnen haben es verheimlicht, dass sie keineswegs lesbisch waren, sondern nachts zum Feind überliefen. Zumal wir in Westdeutschland von nichtberufstätigen Müttern zu einer romantischen Liebesheirat in Weiß erzogen worden waren, denen die Vorstellung, dass ihre Töchter nicht mehr Jungfrauen seien, schlaflose Nächte bereiteten. Also ein Leben in extremer Spannung in uns selbst und mit dem männlichen Rest der Welt.
Auf
der anderen Seite das beschwingende Gefühl, an einer wichtigen Bewegung
mitzuwirken, denn wir leisteten mit unserem Engagement für mehr Frauenrechte,
bessere Bezahlung, Selbstbestimmung in der Abtreibungsfrage extrem wichtige
gesellschaftliche Aufklärungsarbeit.
Das
alles hat natürlich auch die Männer geprägt. Viele veränderten sich, wurden
weicher, gingen offener mit ihren Gefühlen um, nahmen sich der Kinder stärker
an. Doch spätestens mit den 80er
Jahren zeigten sich auch die negativen
Folgen. Viele Männer waren frauenbefreiungsgeschädigt, d.h. zutiefst
verunsichert, nicht selten devot und entleert. Weiblichkeit war alles, Frauen
hatten die Gefühlshoheit im emotionalen Bereich erobert, nach dem Motto: Was Frau fühlt ist richtig. Punkt, Basta,
Schluß!
Einige
Männer wurden daraufhin superfeministisch! Einer meiner Kommilitonen, ein
Jurist, trug ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Ich hasse Penisse!“, weil das
Penetrieren ein repressiver Akt barbarischer Unterdrückung sei! Er versuchte
anhand von homosexuellen Pornozeitschriften schwul zu werden. Ein interessantes
Experiment. Funktioniert hat es nicht.
Superfeministisch
sind bis heute offenbar viele
männliche Sozialarbeiter und Familienrichter geblieben. Wie sich bei unzähligen
Sorgerechtsverfahren nach den Scheidungen zeigt: Männliche Sozialarbeiter
halten eher zu Frauen, Mütter gelten als heilig. Fast naturmythisch: Mütter
haben immer recht! Diese männlichen Feministen unterstützen viel seltener
Männer und die Menschenrechte der Kinder auf Kontakt zu ihren leiblichen
Vätern! Fatal für nunmehr mehrere Kindergenerationen!
Außer
diesen Superfeministen war wohl die Mehrheit der Männer verängstigt. Es gab
keine neue Definition von Männlichkeit jenseits der Cowboys, Machos und
Manager. Und gerade sensible Männer hatten gelernt, daß diese Typen megaout
sind.
In
dieses Kuddelmuddel von alten und neuen Rollenerfahrungen wurden auch in den
70er und 80er Jahren Kinder hineingeboren. Wie mag das wohl für kleine Jungs
gewesen sein, die bei powervollen, gerade emanzipierten Mütter aufwuchsen, die
unglaublich viel schafften und bewegten, die ihre Kinder mit zu Demos nahmen, Ferien
in Frauencamps veranstalteten, alles Männliche ablehnten! – Verknüpft mit den
Mißverständnissen der antiautoritären Erziehung, die versäumte, Grenzen zu
setzen und ebenfalls unter dem Motto agierte: Gefühle müssen raus. Egal wann,
wo, gegen wen und zu wessen Schaden! Wer Spinat spuckte wurde quasi als
selbstbestimmt bejubelt. Alles war erlaubt. Diese Erziehung war ein Kind ihrer
Zeit, ein Gegenprinzip zu der Autoritätshörigkeit, die soviel Elend in so
vielen Staaten gestiftet hat – besonders in Deutschland. Sie war auch eine
Ablösung des vermeintlich männlichen Prinzips durch das weibliche. Männlich
bedeutete Strenge, Prinzipien und Gehorsam, weiblich hieß: Gefühle, Offenheit,
Grenzenlosigkeit. Dass man hier wieder den eigentlich so verhassten Klischees aufsaß,
fiel niemandem auf.
Diese
Kinder erlebten eine nie zuvor da gewesene Freiheit. Doch zu viel Freiheit ist
nicht nur für Erwachsene bedrohlich und
ängstigend. Wenn Leitlinien, Lebensmuster, Grenzen täglich selbst gesucht
werden müssen, kann das zu tiefer emotionaler Verunsicherung führen. Für Kinder
manchmal mit fatalen Folgen: Sie müssen sich zu früh gross machen, quasi
aufplustern, um diese schwierigen Aufgaben der Freiheit und des leeren Raumes
zu füllen. Nicht selten verausgaben sie sich und werden völlig lustlos.
Kleine
Mädchen konnten sich noch bestenfalls an die Power ihrer Mütter anschließen und
sich z.T. damit identifizieren, sie loteten diese Freiheiten für sich aus,
wurden zu den kecken Girlies der 90er Jahre, für die die Errungenschaften der
Frauenbewegung selbstverständlich sind. Doch oftmals mutierten sie zu
unzufriedenen, narzißtisch verliebten, ewig gekränkten, zickigen jungen Frauen, die nörgeln und flunschen, wenn die Welt
nicht so will wie sie wollen.
Auch kleine Jungen wurden von diesen frisch
emanzipierten Müttern, die jegliches Spielauto als männlich geprägtes Spielzeug
ablehnten und die Krise bekamen, wenn ihre Söhnchen aus einem Stock ein Gewehr
schnitzten, mit der neu errungenen emotionalen Offenheit überschüttet. Die Jungen
hörten die nächtlichen Diskussionen und erlebten die z.T. erbitterten bis aufs
Blut kränkenden Argumente zwischen Frauen und Männern.
Und was tun Jungs, denen von überbordenden omnipotenten Mütter ständig signalisiert wird: Sei mein Sohn, aber werde bitte kein Mann! Ihnen bleibt in vielen Fällen nichts anderes übrig als die Ohren zuzuklappen und sich durch Rückzug zu schützen. Rückzug ins Schweigen, Rückzug auf die gerade noch männlichen Bereiche wie Computer, Gangs und Coolness.
Inzwischen
sind wir feministisch heftigen jungen Frauen der 70er Jahre im mittleren Alter,
lachend und kichernd erinnern wir uns an diese
„Geschlechterkriegszeiten“.
Doch manchmal bleibt mir das Kichern im Halse
stecken und ich frage mich: Was haben wir damals angerichtet?
Als
Therapeutin erschreckt mich die Unzufriedenheit der Jüngeren: Weder mit noch
ohne Mann, weder in der Ehe noch außerhalb sind sie zufrieden oder suchen
gemeinsam nach neuen Lösungen. Viele dieser fabelhaft ausgebildeten jungen
Frauen zernörgeln ihr Leben, zernörgeln ihre Liebesbeziehungen. Natürlich wollen sie den neuen Mann, der über
Gefühle reden kann – aber bloß keinen Softie. Einen, der die unangenehmen Dinge
des Lebens erledigt: Rasenmähen, Steuererklärung, Wände streichen. Trotzdem
heißt es: Die Männer heutzutage taugen einfach nichts. Fragt man,
was sie konkret am jeweiligen
Mann auszusetzen haben, kommen keine nennenswerte Vorwürfe, sondern nur
undifferenziertes Grummeln.
Und
dann höre ich immer wieder von Männern, die sich zuhause nicht mehr piep zu
sagen trauen. Einige Beispiele:
-
Eine
Frau hat einen Liebhaber, der zu Besuch kommt. Sie verlangt von ihrem Ehemann, dass er für das Wochenende auf den
Dachboden zieht. Er protestiert ein mal und überläßt anschließend dem Liebhaber
das Ehebett! –Als Therapeutin frage ich ihn, warum er den Mann nicht seines
Hauses verwiesen hat? Seine völlige Negierung der eigenen Rechte macht mich
fassungslos!
-
Oder:
Ein anderer Patient, 32 Jahre alt: Er bezahlt 60 % der Miete für seine Wohnung.
Seine Freundin hat gegen seinen nur schwachen Widerstand seit 9 Monaten ihre
Schwester mit aufgenommen, die beiden Frauen zahlen nur jeweils 20 %. Als die
Freundin in die Wohnung einzog, bestand sie außerdem darauf, dass alles nach
ihrem Geschmack eingerichtet wurde. Seine Möbel wurden rausgeschmissen. Auf die
Frage, wo er sich denn wohl fühlen würde in der eigenen, 120 qm grossen
Wohnung, sagt er: Auf dem Balkon, denn dort hätte sie nichts verändert.
-
Oder:
Eine Frau hat einen Liebhaber aber keinen Führerschein! Ergo fährt ihr Mann sie
zum Liebhaber, bleibt dort 2 Stunden im Wagen sitzen bis sie fertig ist und
fährt sie wieder heim! Dieser Ehemann hatte die beiden Kinder in den ersten 6
Jahren aufgezogen, da er als Lehrer eine Halbtagsstelle ergattern konnte. Doch
bei drei Kollegen passierte etwas, wovor er sich fürchtet: Obwohl sie die
meiste Erziehungsarbeit leisteten, wurden die Kinder nach der Scheidung den jeweiligen Frauen zugesprochen. Mein
Patient, der eine alleinstehende Mutter hatte und diese emotional bedienen mußte,
hat nur eine einzige Alternative im Repertoire: Das zu tun was Frauen wollen! Denn seine Kinder will er um keinen Preis
verlieren.
- Oder: Ein Anwalt, kinderlos, macht die Steuerklärung für sich und seine Frau. Seit 10 Jahren. Es dauert jedesmal zwei volle Wochenenden. Auf meine Frage: Und was macht Ihre Frau an diesen beiden Wochenenden? kommt die Antwort: Sie quengelt und nörgelt, weil ich für sie keine Zeit habe! – Sein Frau spricht keinen Dank aus, kocht ihm kein extra schön Essen, belohnt ihn nicht mit Karten für sein Lieblingskonzert! Er fand es normal! Er kannte ja nichts anderes!
- Oder: eine schlechte Ehe. Die Frau entnimmt in 10 Jahren vom gemeinsamen Konto
700 000 DM für ihre rauschhaften, sinnlosen Einkäufe: Er traut sich nicht ihr das Konto
zu sperren und ihr nur begrenztes Haushaltsgeld zu überweisen...Er ruiniert sich sehenden
Auges finanziell bis an sein Lebensende.
- Oder: Ein Ehepaar und zwei Kinder. Die Frau hat keine Lust als Lehrerin zu arbeiten, buddelt lieber in ihrem Garten und segelt mit den Kindern auf der Elbe. Aber ihr Mann, der einen ungeliebten Job hat, muß abends noch die Wäsche aufhängen, staubsaugen und am Wochenende nicht nur das Haus reparieren, sondern auch noch putzen. Und sieht deswegen seine Kinder zu wenig, was sie ihm vorhält! Sie fühlt sich im Recht. Ich verpflichte sie in der Paartherapie, die anfallenden Familienarbeiten akribisch aufzulisten. Es stellt sich heraus, dass sie die außerhäusliche Arbeit des Mannes völlig negiert, als würde er nicht mit seinen 8 Stunden täglich den Löwenanteil an der Familienarbeit erbringen. Denn die unangenehmen Haushaltsarbeiten schafft sie in 3 Stunden. Sein Anteil liegt insgesamt bei 70 Prozent. Aber sie hat immer das Gefühl mehr zu machen. Welch Realitätsverlust!
- Oder: Elisa, 30 Jahre alt, gestaltet nicht nur die Wohnungseinrichtung mit Blümchen,
Deckchen, Kerzen und ihren weiblichen Farben, nein sie taucht das Schlafzimmer total in
Rosenmuster. Thomas, ihr Mann, sagt nichts, aber wird impotent, denn er haßt diese rosa
Farben und dieses ewige Gerüsche! Er fühlt sich seiner Männlichkeit beraubt, er hat
buchstäblich keinen Raum im eigenen Haus außer einer Bastelecke in der kalten Garage.
Da er sich nicht wirklich zu artikulieren getraut, streikt sein Körper und seine
Männlichkeit.
Wie konnte es dazu
kommen?
Warum gibt es so viele duldsame, verstummte Männer? Warum gibt es so viele Frauen, die ihre Männer als zu erziehende Versager behandeln, obwohl sie sich doch ursprünglich ein gleichberechtigtes Gegenüber gewünscht haben? Was haben wir Frauen falsch gemacht?
So wie die 68er Generation sich moralisch erhob und aggressiv nach der Schuld der Elterngeneration fragte, haben wir feministischen Frauen bei unserem Kampf für unsere Rechte völlig übersehen, dass zwar die Welt in der Hand von Männern ist, doch diese Männermacht sich nur bei einem geringen Prozent von ihnen zentriert. Die anderen 99 Prozent der Männer sind, wie wir Frauen, ebenso abhängig von ihrem Boß, den Männern der Wirtschaft und des Militärs, der Gewerkschaften und der Kirche, von all den männlichen Machthabern auf so vielen Stufen der Gesellschaft.
Wir
haben weiterhin buchstäblich übersehen, dass Männer auch leiden. Wir Frauen
machen bis heute den Fehler, immer nur
uns als Opfer zu sehen. Nach dem Motto: Ich leide, also bin ich – das
geheime Thema vieler Talkshows.
Doch
die Mehrheit der Männer haben ebenfalls immer gelitten, nur nicht so lautstark
wie wir Frauen heute: Als Jäger waren sie zu Urzeiten nicht weniger gefährdet
als die Sammlerin, als Bauer hinter dem Ochsengespann und beim Baumfällen sind
nicht weniger Männer tödlich verunglückt wie im Wochenbett die Frauen
gestorben. In den USA erleiden 95 % der tödlichen Berufsunfälle Männer, weil
sie fast zu 100% der sogenannten „Todesberufe“ ausüben.
Natürlich wollten wir die Hälfte der Welt, doch keineswegs unbedingt ins Bergwerk, an den Hochofen, zur Müllabfuhr oder zum Schneeräumdienst. Die amerikanischen Soldatinnen werden zu Friedenszeiten den männlichen Kollegen gleichgestellt, fabelhaft. Doch zu Kriegszeiten müssen sie keineswegs an die vorderste Front, dort wo scharf geschossen wird!
In dem Zusammenhang zurück zu der Frage: Warum gibt es so viele duldsame Männer? Dazu
Vier Thesen und eine
Forderung:
Heute passiert den Söhnen und Enkelsöhnen dieser Soldaten im „Geschlechterkampf“ und im „Rosenkrieg“ etwas ähnliches, wiederum leiden sie stumm, ausgeliefert und verzweifelt. Es gibt offensichtlich eine Wiederholung in den Generationen, nbewusst geschieht eine Wiederkehr des Verdrängten: Wie ihre Großväter und Väter finden sie keinerlei produktive Möglichkeiten sich zu wehren, leiden nicht selten an nahezu selbstzerstörerischer Passivität bzw. werden zur Passivität verdammt.
2. These:
Zu viele Kinder wachsen ohne
Vater auf bzw. ohne männliche Identifikationsfigur. Denn es gibt eine Gruppe
von Menschen, die eine andere Gruppe als sozial, emotional und charakterlich
nicht für würdig hält, z.B. mit den eigenen Kindern umzugehen.
Wir erinnern uns noch an die 50er Jahre, als Männer entscheiden durften, ob ihre Frauen außerhäuslich arbeiten gingen, und als Frauen für zu dumm und verantwortungslos gehalten wurden, um einen öffentlichen Bus zu chauffieren.
Heute wird normalen Vätern nach der Scheidung tausendfach das Recht verwehrt, ihre Kinder gleichberechtigt aufzuziehen oder sogar nur zu sehen.
Die
Auswirkungen auf die Kinder sind verheerend. Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass gerade bei den
Neofaschisten und Skinheads viele vaterverlassene Jungen zu finden sind. Sie
suchen das Männliche, doch weil keine positiven Vorbilder zu haben sind,
driften sie in die extreme Ecke ab, dorthin, wo (eine höchst fragliche) Männlichkeit
gepredigt wird.
Und
was passiert mit den kleinen Mädchen ohne präsenten Vater? Da sie den
liebevollen Blick ihrer Väter so dringend brauchen, ihn aber zu selten
bekommen, bleibt ihnen nur der Spiegel übrig, in dem sie sich ständig drehen
und wenden, immer mit der Frage: Bin ich hübsch, bin ich liebenswert genug? Es
entsteht die nicht zu stillende Sehnsucht nach dem männlichen Blick. Doch auch
der aufmerksamste Liebhaber, die grösste Attraktivität und die artifizielle
Kunst eines Schönheitschirurgen können diese tiefe Kindersehnsucht nach Vaters
Blick nicht stillen! Also werden Frauen wieder zickig, doktern an ihrem Äußeren
herum und stellen die Männer als Versager hin, obwohl es keineswegs deren
Schuld ist, dass Frauen so selten emotional satt werden.
Frage ich als Therapeutin nach dem generationenübergreifenden Mustern, stellt sich oftmals heraus, dass in diesen Familien seit dem 2. oder sogar dem 1.Weltkriege nie wirklich ein Mann zu Hause war: Entweder waren sie jung gefallen, vermißt, kamen krank aus den Kriegen zurück oder waren nicht erwünscht. Männer: Unbekannte Wesen. Genauso unbekannt wie die Möglichkeiten eines erfüllten Zusammenlebens.
3. These: Schweigen erzeugt Schweigen und damit auch Verschweigen. Ein Teufelskreislauf.
Erinnern wir uns daran, wie wir damals versuchten die Sprachlosigkeit zu überwinden, weil sie uns schwach gemacht hat. Mühsam haben wir in kleinen Schritten gelernt, uns öffentlich und privat zu Gehör zu bringen, denn Schweigen bedeutete Bedeutungs- und Einflußlosigkeit. Und wenn es heute die Männer sind, die schweigen und dulden, ist es eigentlich kein Wunder, dass viele Frauen sie so behandeln, als seien sie nicht ernst zu nehmen. Was diese wiederum mit Schweigen beantworten.
Wenn ich als
Therapeutin genauer nachfrage, zeigt sich auch hier, dass das Schweigen in der
Familie oft Tradition hat. Nicht selten kommt dabei ein anderes Verschweigen
zutage: Da wurden eine Volks- oder Religionszugehörigkeit oder
Verstrickungen im Faschismus verschwiegen, da wurden Verschleppte oder
Verhaftete niemals wieder erwähnt, da wurden Tote aus den seltsamsten Gründen
totgeschwiegen. Und in sehr vielen Fällen: Kamen die Männer zerschossen und
psychisch zerbrochen aus dem Krieg zurück, wurden sie keineswegs als Helden,
vielmehr als Versager empfangen. Auch über diese Scham haben sie nie gesprochen.
Das waren die Väter oder Grossväter. Und ihre Söhne und Enkel, die heute zwischen 30 und 50 Jahren alt sind, haben oftmals diese Muster übernommen.
Nicht
nur in den Familien geben Frauen oft die Regeln des Zusammenlebens vor, sondern
auch in den meisten Kindergärten und Schulen. Diese weibliche Übermacht hat auch Auswirkungen auf die Gestaltung
von Lehrplänen und Vermittlungsformen. Denn irgendeinen Grund muss es ja geben,
wenn an Gymnasien, wo über Jahrzehnte Jungen in der Mehrheit waren, die Zahl
auf 45,6 Prozent geschrumpft ist. An Sonderschulen sind Jungen mit 63,7 Prozent überrepräsentiert. Und betrachtet man die
Pisa-Studie, so fällt auf, dass die Jungen weltweit bedeutend schlechter
abschneiden als die Mädchen.
Gilt
also das alte Vorurteil, dass Mädchen dümmer sind, in Wirklichkeit für die
Jungen?
Natürlich
nicht! Die Mädchen kommen einfach besser mit den Anforderungen der Schule und
den Veränderungen der Umwelt klar: Gefordert sind in der heutigen Schul und
Arbeitswelt Flexibilität, Kommunikation, soziale Intelligenz und nicht
aggressives Durchsetzungsvermögen und unnachgiebige Meinungsfreudigkeit. Der
Sportunterricht, in dem Jungen ihre Vitalität und Kraft unter Beweis stellen
konnten, ist unwichtiger geworden ebenso alles Manuelle, der Lesestoff orientiert sich mehr an Themen,
die Mädchen interessieren. Und auch in der Freizeit leiden Jungen mehr als
Mädchen unter dem verschwindenden Raum zum Spielen. Ihrem Bewegungsdrang können
sie nur noch auf kleinen eingezäunten Spielplätzen nachgehen: Sie fühlen sich wie eingesperrte
Raubtiere.
Eine
Forderung: Wir Frauen müssen begreifen,
dass wir nicht mehr das schwache Geschlecht sind. Wir sollten unsere Werte
nicht zum Maß aller Dinge machen. Auch müssen wir noch etliche Aspekte unserer Geschichte aufarbeiten.
Leider die negativen. Erst sehr wenige Frauen haben begonnen, unsere
Täteranteile im Alltag zu reflektieren, die weiblichen Aspekte am Faschismus zu
durchleuchten, unsere spezielle Art der Aggression aufzudecken. Bisher war es
noch leicht und ziemlich angenehm, den Männern alles Böse der Welt in die
Schuhe zu schieben und uns als Hüterinnen des Wahren, Guten, Schönen zu
empfinden.
Tabuisiert
wird z.B. ganz konkret die Wut der
Jugendlichen auf ihre Mütter, die ihnen den Kontakt zum Vater versagen
oder ihn mit ihrer Dominanz so geschwächt haben, dass er verstummt ist ! Doch
diese Wut kann nur schwer ausgedrückt
werden, wenn die Mutter das einzige Elternteil ist, sich nicht selten als
Freundin besonders ihrer Töchter inszeniert und dadurch den Emanzipationsprozeß
verunmöglicht. Noch ein Tabu: Gewalt von Frauen an ihren Kindern. Meine
Patienten haben dutzendfach unter mütterlicher Gewalt gelitten, physischer wie
psychischer!
Was tut not? Eine neue Definition von positiver
Männlichkeit, von guter, kreativer Väterlichkeit, eine neue Diskussion um
Frauen- und Männerrollen.
Das
Pendel, welches wir Frauen notwendigerweise in die eine Richtung haben extrem
ausschlagen lassen, sollte eine neue Balance finden können. Doch dazu müssen
die Männer ihren Mund aufmachen, ihre Angst vor Frauen überwinden und zu einer
eigenen, neuen Kraft gelangen! Auch Sozialarbeiter und Familienrichter,
Gesetzgeber und Politiker.
Es
geht um eine neue Emanzipationsbewegung. Die der Frauen ist zwar noch lange
nicht beendet und hat, wie jede heftige Bewegung, heftige Unruhe verursacht.
Jetzt sind die Männer dran sich zu befreien, um eine neue Mitte für sich selbst
zu finden: Jenseits vom Macho, aber auch jenseits vom großen Dulder.
Die
Emanzipation der Frau war und ist eine Chance für die Menschen, für weibliche
und männliche und für Kinder sowieso. Die Emanzipation der Männer wird
ebenfalls eine Chance sein – für uns alle. Ein mühsamer, aber auch lustvoller
Weg, den wir nur gemeinsam beschreiten können. Wir, Männer und Frauen
miteinander, nicht gegeneinander.
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Astrid v. Friesen, Jg. 1953, ist
Diplom-Pädagogin, hat Praxen als Gestalt- und Trauma-Therapeutin in Dresden und
Freiberg, unterrichtet an der Universität Freiberg und arbeitet als
Journalistin und Autorin. Die beiden letzten ihrer acht Bücher heißen:
„Der lange Abschied. Psychische Spätfolgen
für die 2. Generation deutscher Vertriebener“ (Psychosozialverlag 2000) sowie
„Von Aggression bis Zärtlichkeit. Das Erziehungslexikon“ (Kösel 2003).
Im
Frühjahr wird im MUT-Verlag ein Buch zu der oben angerissenen Männer- und
Frauenproblematik erscheinen!