Enkel sollten wir verehren - Kinder brauchen GroßelternHimmel und ErdeKinder brauchen Großeltern. Dann können sie Vergangenheit zum Greifen
nah erleben. Wenn Oma, Opa aus der Zeit erzählen, als Papa und Mama Kinder
waren, weitet sich der Raum. Kinder meinen ja erstmal, mit ihnen fange das
Leben an und die Eltern seien so alt wie die Welt und dazu da, sie zu
ernähren und zu bespaßen. Vor allem, wenn sie Einzelkinder sind, kann beim Eintritt in den
Kindergarten die Katastrophe kommen. Die Prinzen und Prinzessinnen
bestaunen sich gegenseitig abweisend, als sei jeder eine eigene, fremde
Welt. Anhand von Großeltern sehen sich Enkel mit ihren Eltern in einer
Reihe. Gehen Großeltern sogar mit den Enkeln ans Grab der Urgroßeltern, so
wird für die jüngste Generation eine Kette vorstellbar, deren (vorläufig)
letztes Glied sie sind. So gewinnen sie vielleicht eine Ahnung vom Zusammengehören. Und weil
die Großeltern zu den Eltern hinzu die Enkel liebhaben, wird die Welt
ihnen verläßlicher und ein Stück mehr Heimat. Sie wissen in ihren
Angstträumen, zu wem sie hinlaufen können, wenn mal was mit den Eltern
wäre. Auch sind die Großeltern stark genug, den Eltern mal Bescheid zu
sagen. Die Enkel können sich bei ihnen über die Eltern beklagen und werden
getröstet, und sie lernen gute Sätze, wie man Frieden machen kann.
Kluge Großeltern haben auch eine andere Zeit als die Eltern - die
müssen immer noch was anderes; und dann ist es zu spät. Aber Oma und Opa
richten sich gern mal nach den Enkeln, backen mit ihnen Kuchen oder
Bonbons, gehen mit ihnen ins Schwimmbad oder haben Fackeln besorgt, und
man fährt abends noch raus, wo es finster ist und die Sterne richtig
glühen und sogar Satelliten zu sehen sind. Oma hat auch eine Kleiderkiste und einen Schmuckkasten, da können sich
die Mädchen schön machen. Opa zeigt derweil dem Enkel stolz seinen
Werkzeugschrank und richtet dem Nachwuchs eine eigene Ecke ein. Großeltern haben auch für manches Antworten, wo die Eltern nicht
weiterwissen und schon sagen: "Das frag Oma!" Manche Eltern wissen nicht
mehr, wie man betet oder können nicht mal die Weihnachtsgeschichte
erzählen. Da lobt man sich doch die Großeltern, die zur Nacht mit den
Enkeln dem lieben Gott erzählen, wie der Tag lief und wofür man dankt und
für wen man Mitleid braucht. Großeltern sollten viel mit den Enkeln tun.
Und wenn sie keine haben, sollten sie welche aus der Nachbarschaft
adoptieren. Herrlich energiegeladen, phantasievoll, neugierig,
tatendurstig ist die junge Generation und viel in Bewegung - sie zieht uns
mit, macht uns freier. Ich weiß noch von meiner Oma, daß wir beim Waschen sagten: "Nicht das
Hälsgen"! Und Oma: "Nein, nicht das Hälsgen." Das Erziehen überließ sie
den Eltern, die bald wieder für Ordnung sorgten. Wir Großeltern brauchen
uns an Enkeln nur zu freuen. Sie aufwachsen sehen, macht uns zu Zeugen von
Wundern. Wir sollten sie verehren. Pastor Giesen lebt auf Sylt und schreibt jeden Sonnabend in der
WELT. Er ist zu erreichen unter: traugott_giesen@t-online.de
Artikel erschienen am Sam, 8. Oktober 2005 |
||||
Artikel drucken | ||||
© WELT.de 1995 - 2005 |