Die Ruhe ist wie ein Stich ins Herz

Mit einem Stand vor dem Bürgerzentrum machten verzweifelte Großeltern auf sich aufmerksam: Sie fordern ein Umgangsrecht mit ihren Enkelkindern.

Von Andreas Weber

Eltern streiten, trennen sich, hinterlassen verbrannte Erde. Der Bund fürs Leben ist in Deutschland längst zu einem Schnellschuss mit begrenzter Haltbarkeit verkommen. "Und dann werden die Kinder als Waffe benutzt", klagt Günter Neumann. Geschosse, die sich auch gegen Oma und Opa richten. Der 60-jährige Essener hat mit Ehefrau Erika schmerzlich erfahren, wie es ist, wenn plötzlich die Enkel entzogen werden.

Drei Jahre lang wurden sie bei den Neumanns groß, der Junge (heute 4) und das Mädchen (6). Wie das eben oft so ist: Mama und Papa sind dankbar, wenn sich die Großeltern um ihren Nachwuchs kümmern. Und die wiederum sind stolz, die Kleinen zu hüten. Ein Herz und eine Seele. "Wir waren die ruhenden Pole für sie." Dies alles war mit der Scheidung ihres Sohnes schlagartig vorbei. Die Schwiegertochter und ihr neuer Lebenspartner blockten Kontakte zu den Enkeln kategorisch ab. "Wir wissen nicht einmal mehr, wie die beiden aussehen." Selbst bei der Einschulung der Enkelin werden sie nicht dabei sein dürfen. Abstände von 100 Metern sind einzuhalten. "Man kann es nicht verstehen", schütteln die Neumanns fassungslos den Kopf. Auch nach all den Jahren durchlaufen sie Wellenbäder der Emotionen: "Täglich denkst du daran, schläfst nicht mehr." Ihre Tränen haben sie getrocknet, indem sie in die Öffentlichkeit gingen. Das Ehepaar zählt zu den Mitbegründern der Bundesinitiative Großeltern (BIGE).

Die Neumanns wissen nun, dass sie mit ihrem Leid nicht alleine dastehen. Ihr Schicksal teilen Tausende in Deutschland. BIGE setzt sich für eine konsequente Auslegung der Paragrafen im "Kindschaftsrecht" ein. Das bürgerliche Gesetzbuch gesteht Geschwistern und Großeltern das Recht auf eigenen Umgang zu. "Nur räumt es nicht jeder Richter ein", fordern die Neumanns einen Lernprozess in der Justiz, aber auch bei den Jugendämtern. Richtungsweisende "Cochemer Praxis" "Entsorgte Großeltern müssen stumm an ihrem Enkelkind vorbeigehen, während selbst Fremde mit ihm sprechen dürfen." Die Neumanns wissen natürlich, dass sie Gerichte bemühen können. Aber: "Es gibt monatelange Verfahren, die die Entfremdung fördern. Hinzu kommt, dass viele Verantwortliche den Standardsatz gebrauchen: Es muss Ruhe einkehren." Eine Floskel, die die Neumanns auf die Palme treibt: "Das ist Friedhofsruhe." BIGE hält es mit dem umsichtigen Cochemer Familienrichter Jürgen Rudolph. Der hat sich dafür stark gemacht, den Schmutz, der bei Trennungen entsteht, beiseite zu schieben, und den Verlust durch die Augen der Kinder zu sehen. Wichtige Voraussetzung: Beide Seiten erhalten das Sorgerecht. Rudolph hat Umgangsrecht und das Wohl der Kinder in der so genannten "Cochemer Praxis" verquickt. Sie gilt als bundesweit richtungsweisend.

Rudolph führt Eltern, Anwälte bis zum Jugendamt an einen Tisch. Ziel: Einvernehmen. Kein Elternteil darf aus dem Leben eines Kindes verschwinden. Und mithin setzt die Konflikt-Deeskalation auch darauf, die Großeltern einzubinden, obwohl diese nicht unmittelbar Beteiligte an einem Scheidungsverfahren sind. Weigern sich die Eltern, werden sie vom Gericht verpflichtet, zu einer Beratungsstelle zu gehen. So lange, bis es ein Ergebnis gibt. "Die Erfolgsquote in Cochem liegt seit 1998 bei fast 100 Prozent", wirbt Günter Neumann für Vernunft. Hälfte der Familie wird ausgelöscht Auf den Flyern, die BIGE auch in Wermelskirchen vor dem Rathaus verteilte, steht dick: "Warum bin ich kein Cochemer Bürger? Ich könnte Oma und Opa besuchen." Dass Eltern und Richter sich querstellen, ist für die Neumanns ein Stich ins Herz: "Bindungen spielen überhaupt keine Rolle. Dabei wollen wir die Enkel nicht aufhetzen, nur mit ihnen leben, sie aufwachsen sehen, die Identität der Familie erhalten. Durch eine Scheidung darf nicht auf einmal eine Hälfte ausgelöscht werden." Nicht nur den Neumanns kommt diese Bestrafung wie eine "Sippenhaft" vor.

Es würde ihnen schon reichen, wenn sie alle 14 Tage ihre Liebsten treffen dürften. "Diese Willkür darf einfach nicht sein", forderten mit ihrem Stand vor dem Rathaus auch Hans-Werner und Erika Bierganns (Bergisch Gladbach) sowie Sieglinde und Dieter Fickert (Wermelskirchen). Wer mehr wissen möchte, wende sich an das Ehepaar Sieglinde und Dieter Fickert, Well 5, Tel. 80 788 - die "Cochemer Praxis" kann im Internet unter www.ak-cochem.de (Arbeitskreis - Trennung - Scheidung im Landkreis Cochem-Zell) angeklickt werden, die Selbsthilfegruppe unter www.grosseltern-initiative.de.