W. Seitz:

Kommunikationsbedarf in der Familie aus der Sicht der Trennungskinder

 

Nach unserem Grundgesetz ist Familie ein Fundament unserer Gesellschaft.

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.

In der Familie werden Werte vermittelt und Verhaltensweisen eingeübt, ohne die eine humane Gesellschaft nicht existieren kann,

wie etwa:

Die Familie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft erbringt für die Gesellschaft unverzichtbare Leistungen, die andere Institutionen nicht oder nur unvollkommen erbringen können.

Familie dient der Stabilisierung und dem Fortbestand des gesellschaftlichen Systems und leistet Beiträge, die den Staat teuer zu stehen kämen, wenn sie von anderen gesellschaftlichen Einrichtungen erbracht werden müssten.

 

Die der heutigen Tagung gestellt Frage,

„Was kann die Politik zur Förderung der Kommunikation in der Familie tun?“

setzt zunächst Kenntnisse darüber voraus, worin der Bedarf an Kommunikation in der Familie inhaltlich besteht.

Alle Anstrengungen der Politik, etwa die Bereitstellung finanzieller Mittel, die Unterstützung bei der Einrichtung von Institutionen der Familienbildung, bei der Organisation der Vernetzung verschiedener Maßnahmen, bleiben abstrakt und verlieren an Effizienz, wenn nicht die inhaltlichen Ziele der Maßnahmen klar vor Augen stehen.

Im Folgenden werden zunächst empirische Ergebnisse berichtet, von denen sich – wenn auch nicht umfassende so doch wichtige – Hinweise auf inhaltliche Ziele bzw. auf Inhalte des Bedarfs an familienstärkenden Maßnahmen ableiten lassen.

 

Zu dem von der Tagungsleitung vorgegebenen Titel meines Vortrags

will ich zunächst noch folgende Erläuterungen geben.

Die Aufmerksamkeit auf die Situation der Trennungskinder hat nicht Selbstzweck. Vielmehr ist die Trennungs-Situation exemplarisch für familiäre Bedingungen, deren Auswirkung auf die Entwicklung von Kindern allgemein zu beachten ist, welche häufig zu psychohygienisch oder soziohygienisch unerwünschten Entwicklungen der Kinder führen, welche unter Umständen aber auch die Chance zu positiven Entwicklungen der Kinder und der Eltern enthalten.

Die im Titel des Themas enthaltene Formulierung „aus der Sicht“ der Trennungskinder ist nicht so zu verstehen, dass es sich nur um den von den Kindern selbst gesehenen und erlebten Bedarf an Kommunikation handelt.

„Aus der Sicht“ der Kinder ist zu verstehen als im Interesse der Kinder.

Die Formulierung Kommunikationsbedarf „in der Familie“ bezieht sich zunächst auf den Bedarf an Kommunikation zwischen Familienmitgliedern. Es sollen dabei aber auch die für das Familiengeschehen bedeutsame Kommunikation von Familienmitgliedern mit Personen außerhalb der Familie berücksichtigt werden, wie etwa mit Erziehern im Kindergarten und mit Lehrkräften, mit Nachbarn, mit Arbeitgebern und Berufskollegen, mit Mitschülern u.a.

 

Es werden nun als Erstes empirische Ergebnisse darüber berichtet, dass bei bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen von Kindern zwischen 9 und 14 Jahren sich die durchschnittliche Ausprägung im Zeitrau von 25 Jahren verändert hat. Die Ergebnisse resultieren aus Untersuchungen, welche zum Einen im Jahr 1973 zur Neuenticklung eines psychologischen Testverfahrens für Kinder und zum Anderen im Jahr 1998 zur Aktualisierung dieses Testverfahrens durchgeführt wurden.

Im Jahr 1973 wurden 1237 Kinder aus den alten Bundesländern, im Jahr 1998 wurden 3800 Kinder aus allen Bundesländern, davon 2950 aus den alten Bundesländern untersucht.

Die hier berichteten Ergebnisse beziehen sich nur auf die Kinder aus den alten Bundesländern, alle im Alter zwischen 9 und 14 Jahren.

Zur Einschätzung der Bedeutsamkeit der Ergebnisse sei darauf hingewiesen, dass eine vergleichbare Untersuchung im deutschsprachigen Raum nicht vorliegt.

Es liegt keine Untersuchung vor

Die Ergebnisse sind geordnet nach solchen, die übereinstimmend bei Jungen und Mädchen festgestellt wurden und solchen, die nur bei Jungen oder nur bei Mädchen gefunden wurden.

Bei Jungen und Mädchen übereinstimmend zeigten im Vergleich mit den 1973 untersuchten Kindern die 1998 untersuchten Kinder folgende Veränderungen der durchschnittlichen Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen:

·         höheres Bedürfnis nach Ichdurchsetzung, Aggression und Opposition,

 

Diese zwischen 1973 und 1998 erfolgten Veränderungen einzelner Persönlichkeitsmerkmale von Kindern lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Es stellt sich dabei die Frage, wie die auf den ersten Blick wenig affinen Komponenten Ichdurchsetzung und Ichbezug einerseits und Interesse für soziale Beziehungen andererseits vereinbar erscheinen.

Dies ist in folgender Hinsicht der Fall.

Der Tendenz zum Zusammensein mit Anderen kommt eine instrumentelle Funktion für Ichdurchsetzung und Ichbezug zu. Zur Realisierung der Ichdurchsetzung und des Erlebens von Selbstgefälligkeit bedarf es des Zusammenseins mit Anderen. Kinder mit hoher Ichdurchsetzung und hohem Ichbezug sind weniger selbstgenügsam.

Das Zusammentreffen von Ichdurchsetzung und Ichbezug mit dem Interesse für soziale Beziehungen mit dem Interesse für soziale Beziehungen entspricht auch dem in der neuesten SHELL-Studie von HURRELMANN für Jugendlichen des Jahres 2000 festgestellten Charakteristikum des egotaktischen Verhaltens.

Zitat HURRELMANN:

„Alle Untersuchungen weisen auf den hohen Grad von Selbstzentriertheit hin, der bis zu einem Egoismus in der Durchsetzung eigener Interessen im sozialen Umfeld gesteigert werden kann. Die vorliegenden Studien lassen es gerechtfertigt erscheinen, den Sozialcharakter der Mehrheit der Jugendlichen heute als Egotaktiker zu bezeichnen.“

 

 

Dazu gehört:

 

Zum egotaktischen Umgang mit anderen gehört auch bzw. bedarf es auch der hohen feinfühligen Aufmerksamkeit für Empfindungen Anderer.

 

Die festgestellten Änderungen der Persönlichkeitsmerkmale von Kindern veranlassen auch die Frage nach der Bewertung dieser Veränderungen.

Ausgehend von traditionellen sozial-moralischen Maßstäben wäre zwar nicht die Zunahme des Interesses für soziale Beziehungen jedoch die Zunahme von Ichdurchsetzung und Ichbezug als unerwünschte Entwicklung zu bewerten. Wird das Verhalten der Kinder jedoch nicht nach diesem von außen angelegten Maßstab der traditionellen sozial-moralischen Norm sondern in funktionaler Hinsicht betrachtet d.h. nach der Funktion des Verhaltens für die Kinder gefragt, dann könnten Ichdurchsetzung und Ichbezug aus der Sicht der Kinder positiv bewertet werden. Ichdurchsetzung und Ichbezug stellen dann eine wichtige Grundlage zur egotaktischen Bewältigung der veränderten Lebensumstände der Kindheit dar. Die betreffenden bzw. die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse führen gewissermaßen zwangsläufig zu den aus traditioneller Sicht weniger wünschenswerten Persönlichkeitsmerkmalen.

 

Sofern die festgestellten Veränderungen der Persönlichkeit von Kindern als unerwünscht bewertet werden, weil sie der individuellen Entfaltung aller Angehöriger einer Gemeinschaft oder Gesellschaft im Wege stehen, dann dürfen nicht nur die Veränderungen der Persönlichkeitsmerkmale von Kindern sondern müssen auch der gesellschaftliche Wandel und die daraus resultierenden Änderungen des Umgangs der Eltern mit den Kindern kritisch betrachtet werden.

 

Neben dem für beide Geschlechter erkannten Trend zu egotaktischem Verhalten weist HURRELMANN in der neuesten SHELL-Studie auch auf geschlechtsbezogene Muster der Lebensbewältigung von Jugendlichen hin. Dies hängt damit zusammen, dass die kulturellen und sozialen Erwartungen an die Angehörigen der beiden Geschlechter zwar nicht mehr in dem Maße wie früher, aber nach wie vor stark differieren.

Bei jungen Männern findet sich eher die als „agency“ bezeichnete Haltung. Dies steht für Ich-Durchsetzung und Vertrauen auf die eigenen Kräfte, für eine konkurrenzorientierte Haltung.

Bei jungen Frauen findet sich dagegen eher die als „communion“ bezeichnete Haltung. Sie zeigt sich nicht durch individuelle Durchsetzung sondern in einer Orientierung auf gemeinschaftsbezogene Stärke und einer auf soziale Netzwerke bezogenen Aktivität.

Bei diesem weiterhin bestehenden Unterschied im Verhalten von jungen Frauen und jungen Männern sei nocheinmal daran erinnert, dass bei beiden Geschlechtern, also auch bei Mädchen, ein epochaler Wandel in Richtung egotaktischen Verhaltens festgestellt wurde.

Dies bedeutet dann, dass dieser allgemein festgestellte epochale Wandel in seiner Richtung den immer noch verbreiteten Rollenvorstellungen des typisch männlichen Verhaltens entspricht, allerdings den immer noch verbreitenden Rollenvorstellungen des typisch weiblichen Verhaltens entgegenläuft.

Die im Folgenden mitgeteilten unterschiedlichen Ergebnisse aus den eigenen Untersuchungen bei Jungen und Mädchen entsprechen den von HURRELMANN in der SHELL-Studie getroffenen Feststellungen.

So zeigen die 1998 untersuchten Jungen ein höheres Maß an Unbefangenheit in sozialen Situationen und ein höheres Selbstwerterleben im sozialen Vergleich, insgesamt also ein geringeres Maß an Angst in sozialen Situationen.

Dies passt zu dem allgemeinen, bei Jungen und Mädchen gleichermaßen festgestellten, epochalen Wandel in Richtung egotaktischen Verhaltens und entspricht dem traditionellen männlichen Rollenbild im Sinne von „agency“ nach HURRELMANN.

 

Bei den Mädchen zeigt sich ein anderes Ergebnis. Die 1998 untersuchten Mädchen zeigen

·        eine höhere Emotionale Erregbarkeit

·        und eine höhere allgemeine (existentielle) Angst,

somit ein höheres Maß an innerer Angst und Unruhe.

 

Dies lässt sich erklären durch eine Spannung zwischen dem bei Jungen und Mädchen gleichermaßen festgestellten epochalen Wandel in Richtung eines egotaktischen Verhaltens und dem auch weiterhin noch verbreiteten traditionellen weiblichen Rollenbild im Sinne von „communion“.

 

Als nächstes sollen die für die epochalen Veränderungen der Persönlichkeit von Kindern verantwortlichen Sozialisationsbedingungen, d.h. epochale Veränderungen des Umgangs der Eltern mit den Kindern, angesprochen werden.

Dazu ist aufgrund empirischer Ergebnisse davon auszugehen, dass die 1998 untersuchten Kinder im höherem Maße als die 1973 untersuchten Kinder folgende Qualitäten des elterlichen Umgangs mit dem Kind erlebt haben.

 

(1)               einen kindzentrierten Umgang der Eltern mit dem Kind

Dazu gehören etwa

·        hoher Handlungsfreiraum, geringe Einschränkung der Freiheit von Kindern,

·        weniger durch Regeln, Gebote und Verbote strukturiertes (familiäres) Umfeld,

·        Erlauben von Selbständigkeit des Kindes,

·        geringe Forderung nach Konformität des Kindes,

·        Akzeptieren des Verhaltens des Kindes,

·        Toleranz, Nachsicht und Kontaktsuche der Mutter.

 

(2)               hohes Ausmaß und hohe Lebendigkeit der Eltern-Kind-Interaktion und der außerfamiliären Kontakte von Eltern und Kind

Dazu gehören etwa

·        Anregung durch gemeinsame Aktivitäten mit den Eltern,

·        Raum für gegenseitigen Rollentausch und gegenseitige Beurteilung innerer Zustände,

·        soziales Netzwerk der Eltern,

·        soziales Netzwerk des Kindes.

 

(3)               Geringe Erziehungsintensität

Dazu gehören

·        geringe erzieherisch gestaltende und korrigierende Aufmerksamkeit der Eltern auf das Kind,

·        weniger direkte elterliche Reaktionen auf das Verhalten des Kindes (durch Belohnung und Bestrafung),

·        geringe Intensität der elterlichen „Vermittlung“ ihrer Sichtweisen in die Erlebnissituation des Kindes,

·        hoher Handlungsfreiraum, jedoch weniger elterliche Anregungen zur eigenständigen gedanklichen Auseinandersetzung des Kindes.

 

(4)               Inkonsistenz des elterlichen Erziehungsverhaltens innerhalb eines Elternteils und zwischen den Eltern

 

(5)               Hohes Ausmaß elterlicher Forderungen und hoher elterlicher Erwartungsdruck auf das Kind. Dazu gehören etwa

·        fordernde und aggressive elterliche Strenge

·        Missverhältnis zwischen elterlichen Erwartungen an das Kind und elterlicher Unterstützung zum Problemlösen

 

Zusammenfassend lassen sich die Bedingungen der familiären Sozialisation der 1998 untersuchten Kinder folgendermaßen charakterisieren: Gewährung von Handlungsfreiraum für das Kind, Lebendigkeit der Eltern-Kind-Interaktion und gemeinsame Aktivitäten von Eltern und Kind, dabei aber auch geringe erzieherische Intensität und Inkonsistenz des elterlichen Erziehungsverhaltens, speziell Wechsel zwischen kindzentrierter und streng-fordernder Haltung der Eltern.

 

Besonders für die Jungen ist gemäß dem zuvor mitgeteilten geschlechtsbezogenen Ergebnis, nämlich gemäß der geringeren Angst in sozialen Situationen, davon auszugehen, dass die 1998 untersuchten Jungen in höherem Maße als die 1973 untersuchten Jungen folgende Qualitäten von Sozialisationsbedingungen erlebt haben:

·                    Gelegenheiten zu unbefangenen Sozialkontakten,

·                    elterliche Förderung des Optimismus von Jungen und Erlauben vielfältiger Verhaltensweisen,

·                    gemeinsame Aktivitäten zwischen Eltern und Jungen.

 

Dies entspricht dem allgemeinen epochalen Wandel in Richtung egotaktischer Orientierung und dem zum traditionellen männlichen Rollenbild im Sinne von „agency“ gehörenden Vertrauen auf die eigenen Kräfte.

 

Besonders für die Mädchen ist gemäß dem mitgeteilten geschlechtsbezogenen Ergebnis, nämlich der höheren inneren Angst und Unruhe von Mädchen,

davon auszugehen, dass die 1998 untersuchten Mädchen in höherem Maße als die 1973 untersuchten folgende Qualitäten von Sozialisationsbedingungen erlebt haben:

 

Diese Umgangsweisen der Eltern mit den Mädchen lassen sich – wie gesagt – auf dem Hintergrund der von HURRELMANN aufgezeigten heutigen Konfliktsituation von weiblichen Jugendlichen sehen.

Es besteht eine Spannung zwischen der auch bei Mädchen und jungen Frauen auftretenden Veränderung in Richtung egotaktischen Verhaltens und dem immer noch verbreiteten Rollenbild des weiblichen Verhaltens nach dem Muster von „communion“, d.h. einer nicht an individueller Durchsetzung sondern an gemeinsamer Stärke orientierten sozialen Aktivität. Diese Spannung führt zu Zwiespaltigkeit bei Eltern, insbesondere bei Müttern, bezüglich des Umgangs mit den Mädchen und zu Zwiespaltigkeit und innerer Unruhe bei den in diese Spannung hineinwachsenden Mädchen.

 

Nach der Betrachtung der Ergebnisse zur epochalen Veränderung der Persönlichkeit von Kindern und zum dafür verantwortlichen veränderten Umgang der Eltern mit dem Kind ist die Frage zu stellen, ob diese Veränderungen in Zusammenhang stehen mit epochalen Veränderungen familiärer Rahmenbedingungen, welche als Determinanten des elterlichen Umgangs mit dem Kind wirken.

 

Dies ist der Fall, wie ein Blick auf den in der neueren sozialwissenschaftlichen Forschung erkannten epochalen Wandel von Familie und Kindheit zeigt.

Eine komprimierte Darstellung dieses Wandels in dem hier interessierenden Zeitraum von 1960 bis 1990 gibt das 1994 erschienene Buch der Familiensoziologin NAVE-HERZ unter dem Titel „Familie heute“. Die wichtigsten Momente davon werden im Folgenden kurz skizziert.

 

Wandel der Funktion des Kindes für die Eltern und geänderter

Familienalltag aufgrund geringerer Kinderzahl

 

Hierzu wird bei NAVE-HERZ Folgendes festgestellt: Je höher der technische Industriealisierungsgrad eines Landes ist, um so weniger werden Kinder mit einem materiellen Nutzen oder einem sozial-normativen Nutzen (z.B. Status-Gewinn) verbunden. Um so mehr werden Kinder mit immateriellen Funktionen verbunden, mit der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse, z.B. damit, dass von Kleinkindern eine Aufforderung an die Eltern ausgeht, Gefühle auszudrücken oder es Freude macht, Kinder aufwachsen zu sehen.

 

Wenn Kinder nicht mehr unter der materiell-ökonomischen Funktion (wie etwa zur Alters- und Krankenversicherung, Mitarbeit im Haushalt) gesehen werden sondern zur emotionalen Bereicherung der Eltern reichen weniger Kinder aus. Dies führt dann dazu, dass immer weniger Kindern immer mehr elterliche Aufmerksamkeit zuteil wird. Kinder genießen eine besondere Wertschätzung. Man will den Kindern „das Beste“ zukommen lassen, was darunter im Einzelfall auch verstanden werden mag.

 

 

Mehrbelastung der Mutter und Wandel der Vater-Rolle

 

Dazu stellt NAVE-HERZ Folgendes fest: Für die durchschnittlich weniger Kinder der Familie werden heute wesentlich mehr Leistungen und ein höherer Zeitaufwand seitens der Mutter erbracht als früher.

Für viele Frauen besteht eine Doppelorientierung auf Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit, woraus eine hohe physische Belastung resultiert und eine hohe psychische Belastung aus der Rollen-Ambiguität.

Trotz des Wandels der Vater-Rolle liegt die Kinderbetreuung nach wie vor überwiegend bei der Mutter.

Besonders die Organisation der Kinderbetreuung und die alltägliche Versorgung (wie z.B. das Wickeln des Kindes) werden weiterhin vor allem von der Mutter erledigt.

Frau NAVE-HERZ erwähnt, dass in wissenschaftlichen Abhandlungen in zunehmendem Maße von „neuen Vätern“ und einem Wandel der Vater-Rolle gesprochen wird. Dazu weist sie auch auf das alltägliche Straßenbild und auf die Darstellung des Vaters in der Werbung hin. Väter schieben den Kinderwagen, zeigen sich mit Babys im Tragesitz auf dem Rücken und zeigen öffentlich und in der Familie ein zärtliches Verhalten gegenüber den Kindern. Der Wandel in den Verhaltensmustern des Vaters tangiert auch die Interaktion mit der Mutter. Es kommt häufiger vor, dass Väter die Mutter zu Vorsorgeuntersuchungen und Vorbereitungskursen auf die Geburt begleiten oder bei der Geburt anwesend sind. Die emotionale Bindung zum Kind ist nicht mehr das Monopol der Mutter. Andererseits besteht bei dem stärkeren Beitrag der Mutter zur Erwerbstätigkeit und zum Familienunterhalt die bisherige allgemeine Entscheidungsmacht des Vaters nicht mehr uneingeschränkt. Häufiger beteiligen sich beide Eltern an der Entscheidungsbildung, werden gegenseitige Abstimmungen verlangt.

Aus der gegenseitigen Annäherung der Rollen bzw. der Verhaltensmuster von Mutter und Vater ergeben sich Probleme der Abgrenzung von Verantwortung, Kompetenz- und Zuständigkeits-Konflikte.

Es besteht eine innere Zwiespaltigkeit innerhalb von Müttern und Vätern und zwischen den Eltern, wodurch Inkonsistenzen des Erziehungsverhaltens und des Umgangs mit dem Kind nahe liegen.

 

Als nächstes spricht NAVE-HERZ von

 

Veränderungen in den familialen Interaktionsbeziehungen

 

Hierzu wird zunächst eine neuerdings in stärkerem Maße als früher auftretende Spannung zwischen individueller Selbstentfaltung der Eltern und Engagement für die Elternschaft angesprochen.

Es wird auf empirische Ergebnisse verwiesen, dass nach Ankunft des ersten Kindes bei den Eltern – trotz des bestehenden Wunsches nach dem Kind – die subjektive Zufriedenheit mit der Ehe abnimmt. Die Eltern müssen wegen des Kindes auf bisherige gemeinsame Aktivitäten verzichten. Es kommt zu Einschränkungen der individuellen Freiheit der Eltern und zu finanziellen Einschränkungen.

 

Andererseits wird die Elternschaft als positiv, der Umgang mit dem Kind als Bereicherung erlebt.

So kommt es zu einem Wechsel zwischen positiven und negativen Stimmungslagen der Eltern.

 

Dabei resultiert eine besondere Spannung daraus, dass moderne Eltern sich selbst unter einen Leistungsdruck als Eltern setzen. Zum Selbstverständnis der Eltern, auch zur Bereicherung der Eltern durch ein Kind, gehört das Bestreben, „gute Eltern“ zu sein, auch dadurch, dass man modernen erziehungswissenschaftlichen Konzeptionen gerecht wird. Und dazu gehört die vorbehaltlose Akzeptanz des Kindes, die Gewährung von Freiraum für das Kind.

Im Vergleich zu vorausgehenden Kindergenerationen haben die Kinder heute mehr Handlungsspielraum, mehr Entscheidungsmöglichkeiten über die eigene Lebenssituation.

Zum neuen Umgang mit den Kindern gehört auch das „Verhandeln“ mit den Kindern.

Eltern sind bemüht, Entscheidungen gemeinsam auszuhandeln und sich in vielen Hinsichten nach den Kindern und Jugendlichen zu richten, anstatt Anpassung an eigene Prinzipien und Verhaltensmuster zu verlangen. Eltern sind bemüht, Verständnis für die Kinder aufzubringen, ihnen eher als Freunde denn als Autoritätsperson zu begegnen. Zur Gleichwertigkeit des Verhaltens von Eltern und Kindern gehört auch, dass Affektausbrüche von Eltern und von Kindern gleichermaßen toleriert werden.

 

Die in hohem Maße kindbezogene Kommunikation des Aushandelns bietet die Möglichkeit, das Nicht-Einhalten von Normen beim Kind zu verstehen und zu begründen. Darin liegt einerseits die Chance, dass sich bei den Kindern anstelle einer externalen Orientierung an starren Normen eine verinnerlichte autonome Moral entwickelt. Es besteht andererseits die Gefahr der Unverbindlichkeit von moralischen Normen, der Rechtfertigung und Verharmlosung des Übertretens von sozialen Spielregeln.

 

Geringe Geschwisterzahl bzw. Fehlen von Geschwistern

 

Hierzu verweist NAVE-HERZ auf dominant, wortgewandtes, egoistisches und streitsüchtiges Verhalten von Einzelkindern, was sich durch das Fehlen von Wettbewerb und ein hohes Maß an Zuwendung und Aufmerksamkeit der Eltern erklären lässt.

 

Familienkonzentrierte Freizeitaktivitäten

 

Hierzu stellt NAVE-HERZ eine zunehmende Tendenz dahingehend fest, dass die häufigsten Freizeitaktivitäten von Kindern solche sind, die gemeinsam mit der ganzen Familie bzw. zuhause ausgeübt werden. Dazu gehören: gemeinsames Fernsehen, Spazierengehen, Besuche machen und gemeinsames Spielen. Es ist dabei die Rede von einer „Verhäuslichung des Kinderspiels.“

Dazu gehört auch, dass die Wohnung und das Kinderzimmer reichlich mit Unterhaltungselektronik ausgestattet sind.

Mit den familienkonzentrierten Freizeitaktivitäten ist allerdings nicht eine Isolierung der Kernfamilie verbunden. Vielmehr pflegt die Familie als Ganzes auch Außenkontakte, etwa mit befreundeten Familien, in Vereinen.

 

Die Verhäuslichung des Kinderspiels steht auch in Zusammenhang mit der

 

Dazu wird zunächst wieder auf den allgemeinen Geburtenrückgang hingewiesen, der dazu führt, dass es häufig an nachbarschaftlichen Spielgruppen mangelt. Damit wird es erforderlich, Kinder auf andere Weise miteinander in Kontakt zu bringen. Spielgruppen und zweckrationale Gruppen (wie Schwimm-, Turn-, Musik-, Tanz-, Mal-Gruppe) werden organisiert, weil das Spielen nicht mehr spontan in geschwisterlichen und/oder nachbarschaftlichen Spielgruppen erfolgen kann.

So müssen Kinder schon frühzeitig lernen, in unterschiedlichen sozialen Kontexten zu bestehen.

Die Institutionalisierung der Kindheit führt zu der sog. „Verinselung der Kindheit“, d.h. dass Kinder in relativ frühem Alter mit sehr unterschiedlichen Personengruppen zu tun haben, die keineswegs immer miteinander in Verbindung stehen. Die traditionell ganzheitliche Erfahrung wird ersetzt durch die Erfahrung in Inseln verschiedener Aktivitäten mit verschiedenen Personen.

 

Als weiteres registriert NAVE-HERZ für die neuere Zeit

Diskontinuiitäten zwischen familiärer und institutioneller Sozialisation und familiale Veränderungen durch das Schul- und Bildungssystem

 

Hierzu wird Bezug genommen auf den bereits erwähnten Wandel, dass bei Orientierung an modernen Erziehungskonzeptionen und bei der Kleinheit der Familie dort ein Aushandeln zwischen Eltern und Kindern erfolgt.

Dagegen kann die damit mögliche Relativierung der Werte im Kindergarten und in der Schule wegen der dortigen Gruppengröße weniger praktiziert werden. Hier müssen im Vergleich zur Familie eher konforme Werte akzeptiert und eingehalten werden. Dies bedeutet, dass familiäre Erziehung und institutionelle Erziehung heute im Vergleich zu früher sich weniger gegenseitig unterstützen.

NAVE-HERZ verweist auf Klagen von Grundschullehrern über Anpassungsschwierigkeiten und Unterrichtsstörungen von Kindern, welche damit zu tun haben dürften, dass Kinder in der Schule mit größeren Gruppen zurechtkommen müssen und weniger kindzentrierten Umgangsformen begegnen.

Neben dieser Diskontinuiität zwischen Familie und Schule besteht gleichzeitig neuerdings in höherem Maße als früher ein Einfluss des Schul- und Bildungssystems auf die innerfamiliären Beziehungen.

Es wird festgestellt, dass seit Mitte der 70er Jahre bei allen Eltern – unabhängig von der sozialen Schicht und unabhängig vom Schulabschluss – die Bildungsansprüche für die Kinder gestiegen sind. Mutter und Vater legen heute auf die schulischen Leistungen bzw. Erfolge ihrer Kinder verstärkt Wert und akzeptieren dabei auch die Verantwortung der Familie für die Hausaufgaben, wobei diese Hilfe vorwiegend von der Mutter geleistet wird.

Es betätigen sich die heutigen Mütter mehr als ihre eigenen Mütter als Hauslehrerinnen für ihre Kinder. Daraus resultiert eine erhebliche psychische Belastung für die Kinder, und vor allem für die Mütter. Hausaufgaben stellen eine häufige Quelle für Ärger dar. Es kommt zu emotionalen Reaktionen der Mutter, wie Schimpfen, Schreien, Ermahnen.

 

Als letzter Punkt des von Frau NAVE-HERZ skizzierten Wandels der Familie und der veränderten Kindheit ist noch die

Zunehmende Nutzung von audio-visuellen Medien und Telekommunikation, damit auch die Zunahme von ikonischen Aneignungsweisen

anzusprechen.

 

Dazu wird festgestellt, dass die Verhäuslichung der Kindheit von einer wachsenden Bedeutung der Mediennutzung, vor allem des Telefonierens, der Computer-Spiele und des Fernsehens begleitet ist.

Durch die Möglichkeit, telefonische Verabredungen mit vielen Freizeitpartnern zu treffen, nimmt die Zahl der Kontaktpersonen deutlich zu.

Statt weniger dauerhafter und überschaubarer sozialer Beziehungen stehen Kinder in einer Vielzahl von zumeist kurzlebigen, meist oberflächlichen und ausschnitthaften Beziehungen. Zur Oberflächlichkeit gehört auch, dass am Telefon – speziell Handy – ausgiebig über alle möglichen Erlebnisse gesprochen wird. Über Erlebnisse, welche früher Kinder für sich verarbeitet haben, wird heute per Handy mit Anderen gesprochen, häufig öffentlich und laut, so dass Dritte mithören.

Dabei bringen Kinder heute in höherem Maße als früher Aufmerksamkeit für Erlebnisse anderer auf, allerdings eine Aufmerksamkeit von eher geringem Tiefgang.

 

Auch andere Medien, wie Fernsehen, Video, Comic-Hefte, fordern und fördern nicht das anstrengende Verinnerlichen. Das Aneignen erfolgt nicht über die anstrengende begriffliche Ebene sondern über die ikonische bildliche Darstellung.

 

Schließlich wird zur Wirkung des Fernsehens auf das Erleben des Kindes auch noch darauf hingewiesen, dass dadurch einerseits anstelle eines dem Entwicklungsstand des Kindes unmittelbar entsprechenden Erlebens eine dem Kind eher fremde Vorstellungswelt wachgerufen wird.

 

Durch das Fernsehen werden Kinder in die Erwachsenenwelt einbezogen, sei es durch Spielfilme und Reportagen oder durch die Werbung, dort beispielsweise dann, wenn Kinder den Vater beim Autokauf, die Mutter bei der Zusammenstellung des Speiseplans oder dem Kauf von Nahrungsmitteln beraten.

Andererseits führt damit die Werbung dem Kind die Berücksichtigung seiner Wünsche vor Augen, was bei Kindern ebenfalls zu einem hysterischen Bild von ihrer Rolle, von den Möglichkeiten zur Wunsch-Befriedigung und zu egozentrischen Ansprüchen und Selbstgefälligkeit beiträgt.

 

Nach den Ergebnissen über epochale Veränderungen bei Kindern und ihren Sozialisationsbedingungen werden nun die Ergebnisse über Besonderheiten der Persönlichkeit von Kindern in der Situation von Trennung und Scheidung der Eltern betrachtet.

Dazu gehören Ergebnisse für Kinder bei Trennung und Scheidung allgemein.

Und es gehören dazu Ergebnisse in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen der jeweiligen Familiensituation bzw. Eltern-Kind-Beziehung.

Kinder in Trennungs- und Scheidungssituationen allgemein zeigen bei folgenden der hier interessierenden Persönlichkeitsmerkmale eine überdurchschnittliche Ausprägung:

 

damit zusammengefasst: einen hohen Ichbezug, zusammen mit hohem Interesse für soziale Beziehungen.

 

Die Übereinstimmung dieser Ergebnisse bei Trennungskindern allgemein mit den zuvor mitgeteilten Ergebnissen zum epochalen Wandel legt nahe, dass der epochale familiale Wandel zu Bedingungen führt, welche – zumindest hinsichtlich ihrer Wirkung – den Bedingungen in Trennungs- und Scheidungssituationen entsprechen.

 

Für das bei Trennungskindern für den epochalen Wandel festgestellte hohe Interesse für soziale Beziehungen ist noch auf verschiedene Bedeutungen hinzuweisen.

Zum Einen kommt – wie bereits gesagt – dem Interesse für soziale Beziehungen eine instrumentelle Funktion zur Realisierung des Ichbezugs und des egotaktischen Verhaltens zu.

So bedarf es zur Realisierung der Ichdurchsetzung und des Erlebens von Selbstgefälligkeit der Anderen, des Zusammenseins mit Anderen. Kinder mit hohem Ichbezug sind weniger selbstgenügsam. Der egotaktische Umgang mit Anderen profitiert von der feinfühligen Aufmerksamkeit für Empfindungen Anderer.

Ein solches Zusammentreffen von Ichbezug mit sozialer Wendigkeit und sozialem Interesse wird auch von HETHERINTON & KELLY in ihrer berühmten Virginia-Längsschnittstudie als eines der wichtigsten Anpassungsmuster von Trennungskindern festgestellt und dort als „kompetent-opportunistisch“ bezeichnet.

Diese Trennungskinder sind sozial wendig und kompetent. Sie wenden sich dabei aber bevorzugt Menschen zu, von denen sie profitieren. Sie manipulieren Andere und spielen auch Eltern gegeneinander aus.

 

Die zweite Bedeutung des hohen Interesses für soziale Beziehungen liegt in der Anteilnahme an Belastungen anderer Personen.

Dies entspricht dem von HETHERINGTON & KELLY bei Trennungskindern festgestellten „kompetent-verantwortungsbewussten“ Anpassungsmechanismus.

Diese Kinder sind ebenfalls sozial wendig und kompetent. Sie verhalten sich jedoch nicht manipulativ. Sie zeigen vielmehr Sensibilität für Gefühle und Bedürfnisse Anderer und die Neigung und Bereitschaft, Schwächeren zu helfen.

 

Als Ursachen für den hohen Ichbezug und das hohe Interesse für soziale Beziehungen bei den Trennungskindern sind diejenigen Umgangsweisen der Eltern mit den Kindern anzusehen, welche für die entsprechenden Ergebnisse des epochalen Wandels als verantwortlich aufgeführt wurden,

nämlich

 

Speziell für den hohen Ichbezug des Kindes kommen im Falle von Trennung und Scheidung noch eine vermehrte Aufmerksamkeit der Eltern für das Kind und das vom Kind erlebte Bemühen beider Eltern um das Kind hinzu.

Speziell für die Tendenz zum Zusammensein mit Anderen ist gerade bei Trennungskindern und bei getrennt lebenden Eltern ein hohes Ausmaß gemeinsamer Aktivitäten der Eltern mit dem Kind wirksam.

 

Auch speziell für die Entwicklung von Feinfühligkeit sind dafür bedeutsame Bedingungen bei Trennungskindern in besonderem Maße gegeben, nämlich

 

Insofern gleicht die Trennungssituation weiteren Bedingungen, unter denen die Entwicklung einer hohen Feinfühligkeit von Kindern empirisch festgestellt wurde, nämlich

Die zuletzt angesprochene Entwicklung von Feinfühligkeit der Kinder als Folge der Auseinandersetzung mit der Trennungssituation ist insofern auch als bemerkenswert herauszustellen, als sie ein Beispiel dafür darstellt, dass von der Trennungssituation auch positive Wirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern ausgehen können.

 

Nach den Ergebnissen über besondere Ausprägungen von Persönlichkeitsmerkmalen bei Trennungskindern allgemein werden nun noch die Ergebnisse über Besonderheiten der Persönlichkeit von Trennungskindern in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen der jeweiligen Familiensituation bzw. der Eltern-Kind-Beziehung beachtet.

Es sind folgende:

(1)               Bei der Mutter lebende Trennungskinder mit konträren emotionalen Beziehungen zur Mutter und zum getrennt lebenden Vater entwickeln ein hohes Bedürfnis nach Alleinsein und Isolierung von Anderen, eine hohe Selbstgenügsamkeit.

Dies steht im Gegensatz zu der bei Trennungskindern im Allgemeinen hohen Tendenz zum Zusammensein mit Anderen, wie es auch dem allgemeinen epochalen Wandel entspricht und was vor allem auf das im Allgemeinen hohe Ausmaß gemeinsamer Aktivitäten zwischen Trennungseltern und Kindern zurückzuführen ist.

 

(2)               Die Angst des Kindes in sozialen Situationen hängt mit dem Grad der von der Mutter erlebten Belastung zusammen.

Bei Müttern mit einem hohen Erleben der familiären Belastung und der Belastung durch den Beruf entwickeln sich eine höhere Zurückhaltung und Scheu im Sozialkontakt und ein höheres Selbsterleben von Unterlegenheit gegenüber Anderen, somit eine hohe soziale Angst des Kindes. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass überlastete Mütter eher einschränkend-pessimistisch mit dem Kind umgehen und eher ein pessimistisches Vorbild darstellen, die Kinder weniger Gelegenheiten zu unbefangenen Sozialkontakten haben.

 

(3)               Bei der Mutter lebende Scheidungskinder, welche bei Überlastung der Mutter und beruflicher Diskontinuität der Mutter eine negative Beziehung zur Mutter aufweisen und gleichzeitig eine positive emotionale Beziehung zum getrennt lebenden Vater, somit eine Dissonanz zwischen emotionaler Qualität und Aufenthaltsort, entwickeln ein hohes Maß an innerer Angst und Unruhe. Besteht dagegen zur Mutter, bei der das Kind lebt, eine positive emotionale Beziehung und zum getrennt lebenden Vater eine negative emotionale Beziehung, so trägt dies zu einer inneren Ruhe des Kindes bei.

In diesem Fall besteht eine Konsonanz, ein Gleichgewicht zwischen emotionaler Qualität und Aufenthaltsort des Kindes. Trotz der emotional negativen Beziehung zum getrennt lebenden Vater ist dies für das Kind entlastend.

 

Daraus sollte nun nicht der Schluss gezogen werden, dass eine negative Beziehung zum getrennt lebenden Elternteil zu favorisieren wäre.

Das Ergebnis weist allerdings darauf hin, dass es den meisten der untersuchten Eltern nicht gelingt, sich so zu verhalten, dass es dem Kind möglich ist, sich bei positiven emotionalen Beziehungen zu beiden Eltern innerlich ruhig zu fühlen.

 

Nach der Mitteilung der mit dem betreffenden Testverfahren ermittelten Ergebnisse zur Persönlichkeit von Kindern und ihrer Erklärung durch Bedingungen der familiären Erziehung und Sozialisation sollen daran anschließend nun Feststellungen zum Bedarf an familienunterstützenden Maßnahmen getroffen werden.

Dazu werden zuerst Inhalte des Bedarfs an familienbezogener Beratung aufgezeigt, welche sich von den heute berichteten Ergebnissen ableiten lassen.

Diese Inhalte beziehen sich nicht nur auf den Fall einer bevorstehenden oder bereits erfolgten Trennung oder Scheidung, sondern betreffen auch frühzeitige, präventiv wirkende Maßnahmen, auch bereits vor der Familiengründung und Elternschaft.

 

Anschließend werden über die heute berichteten Ergebnisse hinaus besondere Aspekte der familienbezogenen Beratung im Falle von Trennung und Scheidung angesprochen.

 

Inhalte des Bedarfs an familienbezogener Beratung

Entsprechend den berichteten Ergebnissen zur Persönlichkeit von Kindern besteht Bedarf in folgenden Bereichen.

 

(1)               Selbstverständnis als Eltern und Einstellung der Eltern zum Kind

·        Klärung der Motive dafür, ein Kind zu bekommen

·        Bewusstwerden der Qualität der Beziehung zum Kind und Gewinnung von Distanz zu den eigenen kindbezogenen Bedürfnissen bzw. von der Nutzung des Kindes für die eigenen Bedürfnisse

·        Klärung des Selbstkonzepts als Erzieher und Klärung der Funktion des Erziehungsverhaltens für die Eltern selbst (z.B. Realisierung eines Erziehungskonzepts, Abfuhr von Spannung)

·        Akzeptanz für die Einschränkung der eigenen Selbstentfaltung durch das Engagement für das Kind als Grundlage für Zufriedenheit mit der Ehe und der Elternschaft

·        Distanz zu der Sichtweise, dass es zu „guter“ Elternschaft gehört, das Kind bedingungslos zu akzeptieren und ihm weitgehenden Freiraum zu gewähren

·        Verarbeitung des erlebten Berufsnachteils „wenig Zeit für die Kinder“, vor allem bei Müttern, und Vermeidung von aus der Überlastung (der Mutter) resultierenden affektiven Reaktionen (wie Affekt-Abfuhr)

 

(2)               Rollenverständnis der Eltern und Rollenklärung zwischen den Eltern

·        Klärung und Absprachen über Zuständigkeiten und Verantwortung

·        Sensibilität für den Ehe- und Eltern-Partner

·        Klärung gegenseitiger Erwartungen und gegenseitig enttäuschter Erwartungen (z.B. Lebensstil, finanzielle Sicherheit, sexuelle Wünsche)

·        Verarbeitung der Belastung aus der Rollen-Ambiguität, vor allem bei der Mutter

·        Vermeidung eines „emotionalen Clinchs“ zwischen den Eltern bzw. des Einbezugs der Kinder in diesen Clinch, Vermeidung von für das Kind dissonanten Beziehungen zu den beiden Eltern

 

(3)               Umgang mit dem Kind und Erziehungsverhalten der Eltern

·        Realisierung elterlicher Autorität anstelle von zu weitgehendem „Verhandeln“ mit dem Kind bzw. von Akzeptanz und Rechtfertigung der Normabweichung von Kindern

·        Relativierung eines einseitig kindzentrierten Umgangs mit dem Kind durch eine höhere Intensität der erzieherischen Interaktion

·        Konfrontation des Kindes mit Forderungen, bei angemessener „Vermittlung“ dieser Forderungen an das Kind und angemessener Unterstützung des Kindes beim Problemlösen

·        Distanzierung von der Tendenz, das Kind zu verwöhnen

·        Konsistenz des elterlichen Erziehungs- und Interaktionsverhaltens, innerhalb eines Elternteils und zwischen den Eltern

·        Förderung von informellen und dauerhaften Kontakten des Kindes mit Kindern aus der Nachbarschaft, außerhalb von organisierten Gruppen

·        Vorbereitung des Kindes auf den (verglichen mit der Familie) weniger kindzentrierten Umgang in Kindergarten und Schule bzw. Unterstützung des Kindes bei der Bewältigung von Konflikten, welche aus der Diskontinuität zwischen familialer und institutioneller Sozialisation resultieren

·        Gelassenheit der Eltern bezüglich schulischer Leistungsforderungen an das Kind und Gelassenheit vor allem der Mutter bei der Hausaufgabenbetreuung

·        Einschränkung der Nutzung audio-visueller Medien und Förderung der Verinnerlichung und der reflexiven Selbstorganisation des Kindes (etwa durch Anregung zum Lesen)

·        Distanzierung von einem nicht kindgemäßen, erwachsenenorientierten hysterischen Rollenbild des Kindes

·        Verständnis für die Erlebnissituation des Mädchens, insbesondere für den Konflikt zwischen allgemeinen epochalem Wandel in Richtung egotaktischen Verhaltens und dem traditionellen weiblichen Verhaltensmuster im Sinne von „communien“, speziell auch im Hinblick auf schulische Belange und Konflikte des Mädchens

·        Aufforderung, sich Gedanken zu machen, über eigene Belastungen und Belastungen Anderer

·        Herausforderung, Verantwortung zu übernehmen, etwa für jüngere Geschwister, für einen belasteten Elternteil

·        gemeinsame Aktivitäten jedes getrennt lebenden Elternteils mit dem Kind

 

(4)               Kommunikation der Eltern mit außerfamiliaren Institutionen und Personen

·        Absprachen mit Erziehern (Kindergarten) und Lehrern (Schule) über das Verhältnis von kindzentrierte und normorientiertem Umgang mit dem Kind

·        Aussprache mit Erziehern und Lehrern über Belastungserlebnisse des Kindes im Falle von Trennung und Scheidung

·        Aussprachen in weiteren informellen Gruppen (z.B. mit Nachbarn, Berufskollegen) über Sichtweisen und Erfahrungen als Eltern und über die Förderung der Kinder

 

Von den zu den einzelnen Bereichen aufgelisteten Inhalten des Bedarfs an familienbezogener Beratung sollen und können hier nicht alle, sondern jeweils nur bestimmte, kommentiert werden.

 

Zu Punkt (1): Selbstverständnis als Eltern und Einstellung der Eltern zum Kind

Eine Aufgabe der Beratung in diesem Bereich besteht darin, bei den Eltern eine bewusste Klärung ihrer Motive, ein Kind zu bekommen, herbeizuführen.

Im Falle der bereits bestehenden Elternschaft würde die Beratungsarbeit darin bestehen, solche Motive rückwirkend den Eltern bewusst zu machen.

Im anderen Fall kann es angezeigt sein, die betreffenden Motive bereits vor der Elternschaft aufzudecken, zu modifizieren, zwischen den Partnern abzustimmen, ggf. auch auszuräumen.

Zum Bedarfs-Bereich wird an dritter Stelle aufgeführt: die Klärung des Selbstkonzepts als Erzieher und die Klärung der Funktion des Erziehungsverhaltens für die Eltern selbst.

Dabei geht es darum, zu klären, nach welchen Gesichtspunkten die Eltern selbst ihr Erziehungsverhalten bewerten, worin sie ihre Aufgabe als Eltern sehen, welche Ziele sie als Erzieher erreichen und auf welche Weise sie erziehen wollen.

Zusätzlich ist auch zu klären, worin der Nutzen ihres Erziehungsverhaltens bzw. ihres Umgangs mit dem Kind für die Eltern selbst besteht, etwa in Abfuhr von Spannung der Eltern, Freude an der Anteilnahme der Entwicklung von Kindern, Anpassung an den Eltern-Partner, Realisierung von Zuneigung für das Kind, Realisierung eines Erziehungskonzepts.

 

Zum zweiten Bedarfs-Bereich

Zum Rollenverständnis der Eltern und zur Rollenklärung zwischen den Eltern gehört die Klärung und Absprache über Zuständigkeiten und Verantwortung von Mutter und Vater.

Dabei geht es nicht darum, dass stereotype Rollenfixierungen, verbreitete Rollenbilder von Mutter und Vater von einem bestimmten Elternpaar übernommen werden.

Eltern-Paare können durchaus ihre eigenen Rollenauslegungen vornehmen, wie etwa Vater als Hausmann. Wichtig ist jedoch, dass innerhalb der Eltern-Partnerschaft eine Rollenklarheit besteht. Nicht abgestimmte Rollen führen zu Konflikten zwischen den Eltern und zu inkonsistentem Umgang mit dem Kind.

 

Ebenso wichtig wie die Klärung de Zuständigkeiten ist auch die Klärung der Erwartungen, welche die Eltern an den Eltern- bzw. Ehe-Partner richten, wie etwa

 

Zu Bedarfsbereich (3), nämlich zum Umgang mit dem Kind und zum Erziehungsverhalten der Eltern,

gilt es nach den zuvor berichteten Ergebnissen vor allem, darauf zu achten, dass bei der Realisierung eines kindgemäßen Umgangs mit dem Kind (wie etwa Gewährung von Handlungsspielraum, gemeinsame Aktivitäten mit dem Kind) die Intensität der erzieherischen Interaktion nicht zu kurz kommt bzw. dabei nicht die Konsistenz des Umgangs mit dem Kind verloren geht, sich in Inkonsistenz auflöst.

 

Zu Bereich (4), der Kommunikation der Eltern mit außerfamiliären Institutionen und Personen, seien zunächst die Kontakte mit Kindergarten und Schule beachtet.

Sie beziehen sich in der Regel auf organisatorische Fragen, wie Stundenplan, Zeitpunkt und Ablauf von Veranstaltungen, in der Schule zusätzlich noch auf den Unterrichtsstoff.

Bisher fehlt es weitgehend an einem gegenseitigen Kennenlernen der von den Eltern, Kindergarten-Erziehern, Lehrkräften jeweils verfolgten Zielen und Vorgehensweisen des Erziehens und Förderns.

Daraus resultieren Verunsicherungen der Eltern.

Und Konflikte der Eltern resultieren daraus, dass Eltern und Erzieher oder Lehrer jeweils auf andere Verhaltensweisen und Leistungen der Kinder Wert legen.

Um dem hier bestehenden Bedarf gerecht zu werden wird eine personelle Verstärkung in Kindergärten und Schulen erforderlich sein. Hilfreich wäre aber auch eine Öffnung dieser Institutionen für eine supervisorische Mitwirkung von Fachkräften der Familien- und Elternberatung.

Eine solche erscheint auch hilfreich für den Umgang der Erzieher und Lehrkräfte mit den Kindern in Trennungssituationen und mit den Trennungseltern, speziell etwa für den Umgang mit dem Versuch der Eltern, Erzieher oder Lehrer jeweils einseitig für sich zu gewinnen, gegen den anderen Elternteil zu instrumentalisieren.

 

Zu den außerfamiliären Kontakten seien auch noch die zu Nachbarn angesprochen.

Mit der Auflösung einer Ehe oder elterlichen Partnerschaft ändern sich häufig auch die Kontakte zu Nachbarn. Die Nachbarn sind irritiert, ziehen sich zurück, verhalten sich kritisch. Zumeist sind die Trennungsmütter davon betroffen.

Dies führt dann oft zu Abkapselung und zur Rückzug auf Binnenkontakte innerhalb der verbliebenen Familie.

Hier gilt es, durch geeignete Maßnahmen der Gemeinwesenarbeit nachbarschaftliche Entfremdung zu vermeiden, Kommunikation und Solidarität mit den Trennungseltern und –kindern zu fördern.

 

Des Weiteren sollen ergänzend zu den Inhalten von Maßnahmen, welche sich aus den zuvor berichteten empirischen Ergebnissen zur Persönlichkeit von Kindern ableiten lassen und welche sich nicht auf den Fall einer bevorstehenden oder bereits erfolgten Trennung beschränken, noch folgende besondere Aspekte der familienbezogenen Beratung bei Trennung und Scheidung angesprochen werden.

 

(1)                          Phasen und Arten von Trennung und Scheidung und Neuorganisation der Eltern nach der Trennung

Strategien und das Programm und die Inhalte von Maßnahmen sind auch abzustimmen auf Phasen und Arten von Trennung und Scheidung.

Zu den verschiedenen Arten von Scheidung lassen sich zunächst verschiedene Perspektiven nennen, unter denen Scheidung von den Eltern und auch von den professionellen Helfern verstanden werden kann.

FTHENAKIS spricht dabei von 3 Modellen von Scheidung.

Das Desorganisationsmodell beschreibt Scheidung als den absoluten Endpunkt der familiären Entwicklung. Dem Nicht-Sorgeberechtigten kommt dabei keine weitere Verantwortung zu. Er hat lediglich das Recht, sich von Zeit zu Zeit vom Wohlergehen des Kindes zu überzeugen.

Das Reorganisationsmodell fasst Scheidung nicht als punktuelles endgültiges Ereignis auf sondern als Prozess, der sich über eine längere Zeit erstreckt. Beiden Eltern wird weiterhin Verantwortung zugeschrieben. Auch der Nicht-Sorgeberechtigte soll weiterhin regelmäßig Kontakt mit den Kindern haben.

Das Transitionsmodell ist als Weiterführung des Reorganisationsmodells zu sehen. Hier findet eine Reorganisation nicht nur auf der individuellen Ebene bzw. nur im Rahmen der ursprünglichen Familie statt sondern eine Reorganisation des gesamten Familiensystems und seines außerfamiliären Kontextes. Häufig kommt es zu einer Wiederverheiratung eines Elternteils oder beider Eltern.

Auch dieses Modell betont die Aufrechterhaltung der Beziehung des Kindes zu beiden Eltern nach der Trennung.

Danach, welches Modell von Scheidung der Realität des Einzelfalls entspricht bzw. danach, an welcher Modellvorstellung sich ein professioneller Helfer orientiert, richten sich die angezeigten oder vom Helfer für erforderlich angesehenen Maßnahmen.

Es kann dabei auch vorkommen, dass die Eltern ein anderes Verständnis von Scheidung haben als das vom professionellen Helfer favorisierte Modell. Dann laufen die Maßnahmen des professionellen Helfens ins Leere.

 

Die erforderlichen Maßnahmen richten sich auch nach der Phase, in welcher sich der jeweilige Trennungs- oder Scheidungsprozess gerade befindet.

In der Zeit der Ambivalenz sind die Eltern noch zwiespältig zwischen für oder gegen die Scheidung. Es erfolgt ein Abwägen, auch mit Blick auf das Leben nach der Scheidung.

Bereits diese frühe Phase bringt aber nicht nur Konflikte für die Eltern sondern auch für das Kind. Das Kind bemerkt die veränderten Umgangsweisen der Eltern untereinander und gegenüber dem Kind.

Auch hier bereits braucht das Kind Unterstützung durch professionelle Hilfe.

 

Die Trennung ist endgültig gegeben mit der räumlichen Trennung der Eltern. Nun erkennt das Kind eventuell auch vorher schon bemerkte Trennungsabsichten der Eltern als endgültig.

Gefühle der Trauer, Verlustängste und Verunsicherungen aufgrund der anstehenden Neuorganisation der innerfamiliären Beziehungen und bei Wohnortwechsel auch der Außenkontakte belasten das Kind in dieser Phase.

 

Die Scheidung betrifft den juristischen Vollzug der Trennung. Nun werden die finanziellen und materiellen Belange geregelt.

Ein Mediationsbedarf besteht hier aber nicht nur für eine konfliktfreie Abwicklung der finanziellen und materiellen Einigungen. Gerade bei der Suche nach finanziellen und materiellen Vereinbarungen treten manchmal Streitigkeiten zwischen den Eltern erstmals auf. Oder es treten vorher nur schwelende Streitigkeiten zwischen den Eltern nun offen zutage, oder es erreichen vorherige Streitigkeiten nun ihren Höhepunkt und führen zu schwer überbrückbaren Barrieren für die Kooperation, welche nur mit professioneller Hilfe überwunden werden können.

 

In der Nachscheidungsphase geht es um die Organisation und Stabilisierung neuer Lebensumstände.

Die für die Eltern auftretenden Probleme der Neuorientierung werden noch eigens angesprochen.

Die Kinder haben in der Nachscheidungsphase die schwierige Aufgabe, die Endgültigkeit der Trennung zu akzeptieren und jegliche Hoffnung auf Versöhnung aufzugeben.

 

Die Entwicklung von Eltern und Kindern in der Nachscheidungsphase wird auch von der Art und Weise wie Trennung und Scheidung zuvor verlaufen beeinflusst.

FASSEL unterscheidet dazu verschiedene Formen.

Eine Form ist die, dass ein Elternteil einfach verschwindet.

Sowohl der zurückgebliebene Elternteil als auch das Kind sind dadurch irritiert. Es geht das Vertrauen auf jegliche Bindung und auf sich selbst verloren.

Die überraschende Trennung entspricht aus der Sicht der Kinder der ersten Form. Für die Kinder ist die Trennung völlig überraschend.

Für die Eltern ist – im Unterschied zur ersten Form – die Trennung nicht völlig überraschend. Die Eltern lassen jedoch die zwischen ihnen bestehenden Konflikte das Kind nicht merken.

Im Falle der gewalttätigen Scheidung brauchen sowohl der von der Gewalt betroffene Elternteil als auch die Kinder professionelle Hilfe zur Vorbeugung gegenüber gravierenden Langzeitfolgen, wie etwa Rückzugsverhalten oder auch eigener Aggression.

Der späten Trennung oder Scheidung geht eine lange, konflikthafte Vorscheidungsphase voraus.

Dies führt bei Kindern zu besonders nachhaltigen Entwicklungen, welche dann nur noch schwer zu beheben sind.

Daher ist es wichtig, die Trennungsgefahr rechtzeitig zu erkennen und frühzeitig zu helfen.

Die „Lass-uns-die-Kinder-raushalten“-Trennung entspricht aus der Sicht der Kinder den beiden erstgenannten Formen, insofern auch sie für die Kinder überraschend kommt.

Die Eltern verschleiern auch hier – ebenso wie bei der zweiten Form – die Trennung vor dem Kind. Der Unterschied liegt darin, dass nun die Eltern das Kind nicht nur in die Konflikte nicht hineinziehen, sondern dass sie gezielt und in gegenseitiger Absprache ihre Situation vor dem Kind verheimlichen und vor dem Kind absichtlich den Schein wahren.

Das Kind fühlt sich dann von beiden Eltern verraten.

 

Zu der von den Eltern nach der Trennung zu leistenden Neuorientierung gehören verschiedene Bereiche.

Im individuellen Bereich erfolgt die Neudefinition der eigenen Identität und des Zukunftsbildes, die Verarbeitung des Bruches mit der ursprünglichen familienbezogenen Identität.

Es gehört dazu auch die Neuorientierung im beruflichen Bereich und der Erwerb neuer beruflicher Kompetenzen.

Zum familiären Bereich gehört die Neudefinition der Eltern-Rolle und der Beziehung zum Kind, die Einstellung auf die Qualität einer neuen Partnerschaft oder auf den Fall der Partnerlosigkeit und es geht um die Neuorientierung der emotionalen Beziehung zum ursprünglichen Partner.

 

Zum kontextuellen Bereich gehört die Neugestaltung des außerfamiliären Netzwerks, sowohl im Sinne der Lösung von bisherigen als auch des Aufbaus von neuen Kontakten.

Eine besondere Neuorganisation sowohl für die Eltern als auch für die Kinder steht im Falle des Aufbaus einer Stieffamilie an, worüber noch gesprochen wird.

 

Eine besondere psychische Situation der Eltern nach der Scheidung bezeichnen HETHERINGTON & KELLY als Ichfremdheit. Viele Betroffene klagen, sie wüssten nicht mehr, wer sie sind.

Manchmal werden verborgene Abhängigkeiten und persönliche Schwächen sichtbar. Es erfolgen Versuche der Selbstkorrektur, um den beschädigten Selbstwert wieder herzustellen.

So kommt es etwa zu vermehrter Aktivität, im sportlichen und Freizeit-Bereich, im intellektuellen und beruflichen Bereich. Manche Eltern unterziehen sich einer Therapie, andere machen Abendkurse. Das äußere Erscheinungsbild wird verändert.

Am Ergebnis solcher Selbstkorrekturen unterscheiden HETHERINGTON & KELLY drei Formen.

Die erfolgreichen Selbstverwandler haben es durch Einsatz von Energie und aller verfügbaren Ressourcen, durch Organisationsfähigkeit und Anstrengung geschafft, die verschiedenen Probleme der Neuorganisation zu meistern. Viele Eltern erkennen nun bei sich bisher verborgene Fähigkeiten und erwerben eine neue Identität als kompetente Menschen.

Eine zweite Gruppe kommt mit den Veränderungen zurecht. Hier gibt es weder Neuentdeckungen an sich selbst, noch ernste Probleme. Die Scheidung hinterlässt keine tiefen Wunden, es hat sich am Leben grundsätzlich nicht viel verändert. Häufig wiederholen sich frühere emotionale Konflikte, nur mit neu besetzten Rollen.

 

Die Gelähmten kämpfen auch nach der Scheidung noch jahrelang mit den Problemen und werden nicht damit fertig.

 

Als ein weiterer besonderer Aspekt von familienbezogener Beratung im Falle von Trennung und Scheidung sind (2) Inhalte der vom Kind erlebten Belastungen bei Trennung und Scheidung zu nennen.

Im Folgenden sind häufige und bei betroffenen Kindern weit verbreitete Belastungen aufgeführt, zu denen im einzelnen Fall noch vielfältige weitere hinzukommen können.

 

(2)                          Inhalte der vom Kind erlebten Belastung bei Trennung und Scheidung der Eltern

·             Instrumentalisierung des Kindes im Elternkonflikt

·             gegenseitige Abwertung und Streitigkeiten der Eltern

·             Rücksicht auf die wahrgenommene Verletzlichkeit der Eltern

·             Betroffenheit von der Zuneigung eines Elternteils zu einem neuen Partner

·             Bedrohungserleben aufgrund von Verlust der Kontinuität des Verhaltens der Eltern und Verlust des Vertrauens auf die Eltern

·             Parentifizierung (d.h. Übernahme der Rolle des fehlenden Elternteils)

·             Schuldgefühle wegen der elterlichen Trennung und Illusion über die Wieder-Versöhnung der Eltern

·             Idealisierung eines Elternteils aus Angst vor Verlust dieses Elternteils

·             Stigmatisierung durch die Umwelt

·             Reduzierung des Freizeitverhaltens und des Lebensstandards aufgrund finanzieller Einschränkungen

·             Veränderungen des sozialen Umfelds (Schule, Freundeskreis, Wohnumgebung, Verwandtschaftskreis)

 

Die einzelnen Punkte sollen hier nicht weiter kommentiert werden.

 

Auch ohne Kommentar machen die aufgeführten Punkte deutlich, wie sehr ein Kind in dieser Situation Hilfe braucht, welche ihm die Eltern nicht geben können. Das Kind braucht professionelle Hilfe.

 

Ein weiterer Aspekt familienbezogener Beratung bei Trennung und Scheidung, der zwar nicht immer aber häufig ansteht, besteht in Beziehungen in einer Stieffamilie.

 

(3)                          Aufbau der Beziehungen in einer Stieffamilie

Hierzu zählen folgende zu bewältigende Entwicklungsaufgaben

für die Kinder

·             Sicherung der Beziehungen zum getrennt lebenden Elternteil

·             Aufbau der Beziehung zum Stiefelternteil

für den zuvor alleinerziehenden Elternteil

·             Neuverteilung der Aufmerksamkeit und Zuwendung auf Kind(er) und einem neuen Partner

für den Stiefelternteil

·             Ausgestaltung der Rolle des Stiefelternteils und des Umgangs mit dem (n) Kind(ern)

für die Familie insgesamt:

·             Integration der neu zusammengesetzten Familie in das erweitere Verwandtschaftsnetz

 

Es wird deutlich, dass die Betroffenen mit besonderen Anforderungen konfrontiert werden, nicht immer in gelungener Weise gemeistert werden.

Es kommt häufig zu Konflikten und Disharmonien wie sie etwa auch in Märchen thematisiert werden, etwa die Beziehung zwischen Stiefmutter und Kind.

 

Einer eher pessimistischen Sicht der Entwicklung von Stieffamilien steht die ressourcenorientierte Betrachtung gegenüber, welche mögliche Vorteile von Stieffamilien herausstellt.

So kann ein Vorteil eines Stiefelternteils darin liegen, dass sich eine zuvor konfliktbelastete Beziehung zwischen dem sorgeberechtigten Elternteil und dem Kind entspannt, oder darin, dass das Kind durch den Stiefelternteil zu neuen Aktivitäten angeregt wird.

Das Für und Wider von Stieffamilien leitet über zu dem letzten Aspekt der Beratung bei Trennung und Scheidung, nämlich zu

 

(4)                          Aus der Trennung sich ergebende Chancen für die Eltern und das Kind

Mögliche Chancen sind

·        Erwerb von Bewältigungskompetenzen in der Auseinandersetzung mit trennungsbedingten Anforderungen, sowohl bei Eltern als auch bei Kindern,

·        Entschärfung familialer Konflikte, die durch die Anfänge der Entwicklung der Trennung eingeleitet wurden oder bereits vorher bestanden,

·        Neudefinition familialer Rollen und Beziehungen und die Rückgewinnung von Eigenständigkeit (der Eltern),

·        Erweiterungen der Erfahrungen und Entwicklungsanregungen in „binuklearen Familiensystemen“.

 

Mit einem „binuklearen“ Familiensystem ist der Fall gemeint, dass beide Eltern wieder eine neue Familie gründen und das Kind in ein familiäres Gesamtsystem mit zwei Familienkernen eingebettet ist.

Dies bietet dem Kind die Möglichkeit zur Erweiterung seiner sozialen, emotionalen und kognitiven Kompetenzen.

Eine Gefahr binuklearer Familiensysteme besteht in paralleler aber gegenläufiger Elternschaft, d.h. dass Mutter und Vater in Erziehungsfragen und bei der Förderung des Kindes gegeneinander arbeiten.

 

Die aufgeführten Chancen machen deutlich, dass eine Trennung der Eltern auch ein Vorteil für alle Beteiligte sein kann.

 

Ob die Trennung ein Risiko oder eine Chance darstellt richtet sich nach moderierenden Rahmenbedingungen.

Zu den Risikofaktoren gehören vor allem Streitigkeiten und ein gegenseitiges sich Abwerten der Eltern.

Chancen bestehen bei einer befriedigenden Kooperation zwischen den Eltern, etwa auch in Zusammenhang mit befriedigenden neuen Partnerschaften der Eltern.

Besondere Risikofaktoren aus der Eltern-Kind-Beziehung stellen Koalitionen zwischen Eltern und Kind dar, sei dies als Koalition eines Kindes mit einem Elternteil in Konfrontation zum anderen Elternteil oder als Hin- und Hergerissensein des Kindes zwischen beiden das Kind an sich bindenden Eltern.

 

Abschließend soll noch die folgende schematische Gesamt-Übersicht über Maßnahmen der präventiven Familien-Unterstützung und der bei Trennung und Scheidung von Eltern betrachtet werden.


Übersicht über Maßnahmen der präventiven Familien-Unterstützung

und bei Trennung und Scheidung von Eltern

 

 


      Zeitpunkt

 

Adressat

 

vor der Ehe

eheliche

kinderlose

Phase

Vorbereitung

auf die

Elternschaft

Zusammen-

leben mit

Kindern

Trennung

und

Scheidung

Nach-

scheidungs-

phase

Einzelne

Eltern / Partner

 

 

 

 

 

 

beide Ehe-/

Eltern-Partner

 

 

 

 

 

 

einzelne Kinder

 

 

 

 

 

 

Eltern und

Kinder

 

 

 

 

 

 

Geschwister u.

Stiefgeschwist.

 

 

 

 

 

 

Stiefeltern

 

 

 

 

 

 

Eltern, Stief-

eltern u. Kinder

 

 

 

 

 

 

Großeltern

 

 

 

 

 

 

Großeltern

und Kinder

 

 

 

 

 

 

Eltern u. außerfamiliäre Bezugspersonen des Kindes (Kindergarten-Erzieher, Lehrer, Berufsausbilder, Nachbarn

 

 

 

 

 

 

Mediengestalter

 

 

 

 

 

 

kommunale Verwaltung, speziell im Sozial- und Bildungsbereich

 

 

 

 

 

 

 

Beteiligte Institutionen, Maßnahme-Träger

 

-          Familien-Bildungs-Einrichtungen

-          Familien-, Ehe-, Eltern-. Erziehungs-Beratung

-          Kindertagesstätten

-          Schule

-          Jugendamt

-          Justiz

-          Medien (Presse, Fernsehen)

-          Familienbildung im Betrieb

 

  teils gemeinnützig

  teils privatwirtschaftlich

Die Übersicht zeigt nocheinmal die Vielfalt des Bedarfs bzw. die Komplexität und Detailliertheit der Beratungs-Aufgaben.

Die Komplexität besteht darin, dass einzelne Maßnahmen durch Bedingungen auf verschiedenen Ebenen bestimmt sind.

In dem Schema wird Bezug genommen zu drei Ebenen:

-                                       zur Ebene des Zeitpunkts, zu dem im Laufe einer Partnerschaft die Maßnahmen erfolgen sollten oder erfolgen müssen,

-                                       zur Ebene der Adressaten, auf welche sich die Maßnahmen richten,

-                                       zur Ebene der beteiligten Institutionen der professionellen Hilfe.

Eine Bedingung aus einer Ebene kann mit einer oder mehreren Bedingungen aus den anderen Ebenen zusammentreffen. So können auf den Adressaten „beide Eltern“ gerichtete Maßnahmen zu allen Zeitpunkten des gesamten Prozesses angezeigt sein und es können dazu verschiedene Einrichtungen beitragen, wie etwa Familien-Bildungsstätten, Erziehungsberatung, Familienbetreuung im Betrieb, Medien.

 

Nun könnte zur weiteren Vertiefung und Veranschaulichung jede der einzelnen Zellen des Schemas mit Beispielen gefüllt werden. So könnte – etwa in die erste Zelle links oben – als Beispiel für eine an einzelne Eltern vor der Ehe gerichtete Maßnahme die Klärung der Motive zum Aufbau einer Partnerschaft, oder die Klärung der Erwartungen an einen Partner eingetragen werden.

In die zweite Zeile darunter, d.h. als eine vor der Ehe oder auch in der nächsten, der ehelichen kinderlosen Phase an beide Partner gerichtete Maßnahme, könnte ein Paarbeziehungstraining eingetragen werden.

Eine solche Auffüllung der einzelnen Zellen ist hier entbehrlich.

Es könnte auch den Betrachter erschlagen.

Es könnte entmutigen und die Bewertung aufkommen lassen, dass sich die Menge aller Aufgaben gar nicht erfüllen lässt, wodurch Zweifel am Sinn einzelner Maßnahmen entstehen könnten.

Es wäre allerdings zu einfach, angesichts des aufgrund fehlender Ressourcen Nicht-Machbaren auch die Effizienz des Machbaren infrage zu stellen und trotz bestehender Einschränkungen der Ressourcen nicht doch auf der programmatischen Ebene der Ziele, auch der Ziele für Anstrengungen der Politik, die Komplexität und Detailliertheit der Gesamtaufgabe zu sehen.

Das Übersichts-Schema führt auch die Wichtigkeit einer heute immer wieder betonten Strategie der Organisation von Hilfsmaßnahmen, nämlich der Strategie der Vernetzung, vor Augen.

Vernetzung braucht aber nicht nur Absprachen zur Planung darüber, welche Hilfe-Institution in welcher Phase auf welchen Adressaten bezogen tätig werden soll bzw. nach welchem Plan die Zusammenarbeit verschiedener Einrichtungen zu organisieren ist.

Zur Vernetzung gehört auch die Kommunikation über die Inhalte der Ziele von Maßnahmen. Derzeit laufen in der Praxis auf den gleichen Einzelfall bezogenen Maßnahmen verschiedener Einrichtungen häufig aneinander vorbei bzw. heben sich in ihrer Wirkung gegenseitig auf, dies deswegen, weil es zunächst an einer Klärung und gegenseitigen Abstimmung darüber mangelt, welche speziellen Zielinhalte durch die jeweiligen Maßnahmen erreicht werden sollen.

Die Strategie der Vernetzung stellt eine Leitlinie für die Praxis familienbezogener Beratung dar.

Weitere Leitlinien dafür, welche sich aus dem Übersichts-Schema ableiten lassen, sind folgende:

·        Eltern- und Familienberatung richten sich nicht nur an Familien in Krisen- und Belastungssituationen wie etwa bei Trennung und Scheidung, sondern – mir präventiver Funktion – auch an „Normalfamilien“.

·        Familienhilfe sollte alltagsnah und bedarfsorientiert und nach Möglichkeit mit einem niedrig schwelligen Zugang realisiert werden.

·        Familienhilfe braucht die Unterstützung der Medien und die Unterstützung der Wirtschaft und der Betriebe.

 

Ergänzend zu diesen Leitsätzen für praktisches Handeln soll abschließend eine grundsätzliche, auch im Grundgesetz vertretene Leitidee betont werden, nämlich: Das Aufwachsen in einer entwicklungsfördernden Familie dient dem Kindeswohl. Daher haben Kinder das Recht auf eine entwicklungsfördernde Familie.